An Elisen

Zwey Genien steh'n an des Weibes Wiege,
Und es erwacht in ihrem Kuss;
Ein jeder spricht: das Herz, das ich ersiege,
Beglückt des Lebens Vollgenuss;
Vertraue mir, lass meine Leitung walten,
Bey meinem Schwur, dein Glück will ich erhalten.

Verschieden sind die Genien gestaltet:
Der eine lächelt sanft und mild,
Sein Blick, in dem ein inn'rer Friede waltet,
Ist seines reinen Geistes Bild;
Er heisst Gefühl der Liebe und des Schönen,
Und seine Sprache hallt gleich Flötentönen.

Der andre prangt geschmückt im Rosenkranze,
Und lautes Lob erherrscht sein Feuerblick;
Sein Fuss entschwebt im leichten Jubeltanze,
Er lässt den ersten weit zurück;
Und, Eitelkeit genannt, will ewig er nur siegen,
Nicht Freude kennen, nur Vergnügen.

Die Wahl ist schwer! Zum stillen Heiligthume
Zeigt deutungsvoll das leisere Gefühl,
Und Eitelkeit vom Glanze und vom Ruhme
Ein hohes lichtumglänztes Ziel.
Die Wahl ist schwer! und ihres Lebens Frieden
Hat schon das Weib im Augenblick entschieden.

Der Schönheit Reiz im Blüthenschmuck der Jugend,
Der Wissenschaften holde Lust,
Der Künste Bild, selbst das Idol der Tugend,
Verschieden lebt es in des Weibes Brust;
Denn sie bedarf Gefühl, um Herzen zu beglücken,
Und Eitelkeit will eine Welt entzücken.

Doch endlich, wenn ermüdet von dem Glanze
Der Blick zur Erde niedersinkt,
Der Schwermuth Flor auch selbst im Reihentanze
Sich um den einsam kalten Busen schlingt,
Dann straft Gefühl ein Herz, das es verloren,
Und nur im Schmerze wird es neu geboren.

Zu deinem Herzen lass, Elise, du mich sprechen,
Das fest Gefühl und Eitelkeit vereint;
Nicht, was du innig fühlest, ist Verbrechen,
Es wird es dann nur, wenn es trügend scheint.
Nicht reine Liebe heiss und innig fühlen,
Verbrechen ist's, mit ihrer Gluth zu spielen.

Willst du ein Herz, das dir gehört, verdienen,
So zeige, dass das deine innig liebt;
Der kann zu lieben nimmer sich erkühnen,
Der Liebe nicht um Liebe giebt.
Nur Herz in Herz, und Seel' in Seel' verloren,
Wird reiner Liebe Ewigkeit geboren.

Aus: Gedichte von Ulrich Freyherrn von Schlippenbach
Mitau 1812 Gedruckt bey J. F. Steffenhagen und Sohn

Collection: 
1812

More from Poet

  • Herr Paff, ein grosser Weidemann,
    Sprach jüngst: Ihr Leute! hört mich an,
    Da hab' ich's ausgedacht:
    Die Liebe gleicht der Hasenjagd;
    Und die versteh' ich wohl. -

    Der Jäger folgt des Häschens Spur;
    Die Liebe spürt...

  • Dem Könige Regner, am Baltischen Strand,
    War Glück und Freude entschwunden.
    Er wandelt zum Grabe der Königin hin,
    Nichts tröstet des Klagendes trauernden Sinn,
    Er hatte nicht Ruhe gefunden,
    Seit Thora, die Liebliche schwand....

  • Der Lenz ist endlich wieder neu
    Für alles Fasel kommen,
    Und alles fühlt, die Liebe sey
    In seiner Brust entglommen. -
    O, Hennchen, fühlt auch deine Brust
    Nicht wunderbare Liebeslust
    Bey meinem Kullern?

    ...

  • Jungen Grazien und Horen
    Gab den Sohn, den sie geboren,
    Venus zur Erziehung hin,
    Und mit mütterlichem Sinn
    Pflegten sie den holden Kleinen;
    Doch er hört nicht auf zu weinen,
    Reisst selbst in der Grazie Schooss...

  • Zwey Genien steh'n an des Weibes Wiege,
    Und es erwacht in ihrem Kuss;
    Ein jeder spricht: das Herz, das ich ersiege,
    Beglückt des Lebens Vollgenuss;
    Vertraue mir, lass meine Leitung walten,
    Bey meinem Schwur, dein Glück will ich...