Das Johanniswürmchen im Kelche der Rose

Welch' ein Wunder hüllt der Rose
Zartes Roth in Flammen ein,
Barg sich wohl in ihrem Schoosse
Noch des Abendrothes Schein?

Ach! ein Würmchen schmückt mit Strahlen
Sein erwähltes Purpur-Haus,
Und den Kelch der Rose malen
Schimmernd helle Flammen aus:

Zwischen Laubgehängen scheinet
Hell die Rose durch die Nacht,
Und kein Fürstenthron vereinet
Solche wunderbare Pracht.

Will ein Bild sich hier entfalten,
Dessen Sinn mein Herz bewegt,
Dessen deutungsvollem Walten
Jeder Puls entgegen schlägt:

Purpurn in der Brust getragen
Ist der Rose gleich das Herz,
Doch in ihrem Schoosse nagen
An ihr Daseyn wilder Schmerz.

Mag der Wurm auch schimmernd strahlen
Gleich der Liebe hellen Gluth,
Schmückt er, wie mit Idealen
Seine Heimath, wo er ruht;

Dennoch, da, wo er sein Leben
In die Purpurquelle taucht,
Hat sie ihm sich hingegeben,
Ihren schönsten Duft verhaucht.

Mag nun hell die Rose schimmern,
Hochgeschmückt in lichtem Roth,
Doch ihr Wesen barg in Trümmern
Eig'nen Daseyn's schon den Tod.

Durch die Nacht des Lebens strahlen
Mag ein Herz, das Liebe füllt,
Aber kennst du auch der Qualen
Schimmernd, dennoch schmerzlich Bild?

Aus: Nachgelassene Gedichte
von Ulrich Freyherrn von Schlippenbach
Mitau gedruckt bey J. F. Steffenhagen und Sohn 1828

Collection: 
1812

More from Poet

  • Herr Paff, ein grosser Weidemann,
    Sprach jüngst: Ihr Leute! hört mich an,
    Da hab' ich's ausgedacht:
    Die Liebe gleicht der Hasenjagd;
    Und die versteh' ich wohl. -

    Der Jäger folgt des Häschens Spur;
    Die Liebe spürt...

  • Dem Könige Regner, am Baltischen Strand,
    War Glück und Freude entschwunden.
    Er wandelt zum Grabe der Königin hin,
    Nichts tröstet des Klagendes trauernden Sinn,
    Er hatte nicht Ruhe gefunden,
    Seit Thora, die Liebliche schwand....

  • Der Lenz ist endlich wieder neu
    Für alles Fasel kommen,
    Und alles fühlt, die Liebe sey
    In seiner Brust entglommen. -
    O, Hennchen, fühlt auch deine Brust
    Nicht wunderbare Liebeslust
    Bey meinem Kullern?

    ...

  • Jungen Grazien und Horen
    Gab den Sohn, den sie geboren,
    Venus zur Erziehung hin,
    Und mit mütterlichem Sinn
    Pflegten sie den holden Kleinen;
    Doch er hört nicht auf zu weinen,
    Reisst selbst in der Grazie Schooss...

  • Zwey Genien steh'n an des Weibes Wiege,
    Und es erwacht in ihrem Kuss;
    Ein jeder spricht: das Herz, das ich ersiege,
    Beglückt des Lebens Vollgenuss;
    Vertraue mir, lass meine Leitung walten,
    Bey meinem Schwur, dein Glück will ich...