An den Frühling

Im December 1774

Holder Frühling, wann erscheinst du wieder?
Wann entzücken deiner Sänger Lieder,
Deine Veilchen, deine Rosen mich?
Wann beleben schmeichelhafte Weste
Junge Knospen hoffnungsvoller Aeste?
Wann verhüllt der Hain in Blüthen sich?

Itzo brausen ungestüme Winde,
Berg und Thäler kleiden sich geschwinde
Schauernd in ein weißes Grabtuch ein.
Nebel wallen statt der Blumendüfte
Zum Olymp, und bange schwere Lüfte
Füllt der Krähe traurig Lied allein.

Oede stehen Florens Lieblingsbeete,
Unbeneidet von der Morgenröthe
Steht der Rosenhain und Freudenleer,
Und im labiryntischen Gebüsche
Tönet nicht das liebliche Gemische
Sorgentödtender Gesänge mehr.

Starr gefesselt stehen Bäch' und Flüsse;
An den Ufern flüstern keine Küsse
Süsser Täubchen; stumm ist Flur und Hain,
Ach! die Hirtin findet izt zum Kranze
Nicht ein Blümchen, und zum frohen Tanze
Ladet nicht der weiche Rasen ein.

Traurig seufzt ihr Jüngling in der Hütte,
Daß die Fluren schon der Nord bestritte,
Eh noch seine Liebe sie gewann;
Daß ein langer Winter ihm noch zürne,
Eh der Lenz mit Blumen ihre Stirne
Schmücken, sanft ihr Herz erweichen kann.

Alle, alle seufzen dich zurücke,
Süsser Frühling! deinem sanften Blicke
Harret schon die schlafende Natur,
Klopfet sehnsuchtsvoll mein Herz entgegen,
Und die Hoffnung deiner schon ist Segen,
Wie ein kühler Thau versengter Flur.

Holder Lenz, der Menschen sanfter Lehrer,
Wie beglückst du deine frommen Hörer,
Welche hohe Freuden schaffest du!
Süsse paradiesische Gefühle
Stritten um mein Herz, und ihrem Spiele
Winkten Musen ihren Beyfall zu.

Wenn ich, wandelnd in den jungen Schatten,
Deine Reize dachte, o wie hatten
Edle Triebe da mein offnes Herz
Tugend, Tugend dir zum Sitz bereitet!
Und wie floß, von Unschuld nur geleitet
Da mein Leben - und der bange Schmerz? -

Linder ward der Schmerz - und meine Klage?
Sie verstummte - jeder meiner Tage
Floh den kleinen Silberbächen nach;
Unter Blumen; und in dunkeln Hainen
Hieß mich oft ein sanft Entzücken weinen,
Hier wo jedes Liedchen Freude sprach.

Ach! und du, wie wird mein Lied dich nennen?
Wessen Pinsel wird dich malen können,
Schönste Tochter des Geschicks.
Süsseste Gespielinn unsres Lebens!
O im Bilde such ich dich vergebens,
Dich, die Seele unsers ganzen Glücks!

Freundschaft, Lohnerinn der guten Seelen,
Die zur Leiterin die Tugend wählen,
Wärmer schlug dir jedes weiche Herz,
Feuriger und treuer wurden Küsse,
Süsser wurde deines Reizes Süsse,
Und besänftigt schlummerte dein Schmerz.

Aller Blumen Weyrauch, aller Wälder
Melodien, aller Schmuck der Felder,
Aller Haine Lispeln, alles sprach:
Fühlt, o fühlet Menschen euer Leben,
Euer Glück, und dem, der es gegeben,
Feyert im Genusse jeden Tag.

Holder Frühling, wenn erscheinst du wieder,
Wann entzücken deiner Sänger Lieder,
Wann verhüllen deine Lauben mich?
Komm, o komm! itzt legten in den Busen
Eine junge Flamme mir die Musen;
Komm, zu meinem Liede wähl ich dich!

aus: Gedichte von Karoline Christiane Louise Rudolphi
Herausgegeben und mit einigen Melodien begleitet
von Johann Friedrich Reichardt
Berlin 1781

Collection: 
1781

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