Sehnsüchtiges Beneiden

Dich beneid' ich, klare Silberwelle,
Die Du ohne Rast von hier enteilest,
Nach der Heimat, wo die Theure wohnet.
Ach, Du ziehst wol an dem Strand vorüber,
Wo sie sinnend, still versunken, wandelt.
Und Du hemmst das munter rasche Wallen,
Fließest stiller, lächelst silberhelle,
Spiegelst zitternd ihr verklärtes Bildniß!
Dich beneid' ich, klare Silberwelle!

Euch beneid' ich, Ihr glücksel'gen Lüfte!
Wehend tragen Euch die blauen Schwingen
Über hohe Berge, tiefe Thäler;
Nichts kann auf der leichten Bahn Euch hemmen.
Ach, Ihr naht der Holden, haucht sie schmeichelnd,
Kosend an, und spielt mit ihren Locken,
Bringet ihr der Blumen süße Düfte,
Streift an ihre zarten blüh'nden Wangen -
Euch beneid' ich, Ihr glücksel'gen Lüfte!

Und wie neid' ich Euch, Ihr goldnen Sterne,
Die Ihr, hoch am blauen Äther wandelnd,
Sie erblicken könnt, wann Ihr nur wollet!
Ach, wie über meinem Haupt Ihr glänzet,
Schimmert Ihr auch über ihrer Scheitel.
Fern und nah seid Ihr zugleich den Menschen,
Jedes Auge suchet Euch so gerne,
Und auch Sie blickt jetzt vielleicht nach oben, -
O, wie neid' ich Euch, Ihr goldnen Sterne!

Seid mir hold, Ihr Alle, die ich neide!
Werdet, Glücklichre, der Fernen Boten.
Bring' ihr das Vergißmeinnicht, o Welle,
Und die Thräne, die sich Dir vermählet!
Lüfte, meine Seufzer tragt hinüber;
Und Euch fleh' ich, sanfte Silbersterne,
Denn Ihr seht es, wie ich sehnend leide, -
Winkt mir, wenn ihr Blick sich zu Euch wendet, -
Seid mir hold, Ihr Alle, die ich neide!

Collection: 
1844

More from Poet

  • Ein Mägdlein, frisch von Wangen,
    Mit goldgelocktem Haar,
    Die Augen mild und klar,
    Wie edle Steine prangen,
    So blitzend wunderbar!
    Ein Mägdlein, frisch von Wangen.

    Hoch ritt ein stolzer Krieger,
    Das Roß...

  • Nimm die letzten Abschiedsküsse,
    Und die wehenden, die Grüße,
    Die ich noch ans Ufer sende,
    Eh' Dein Fuß sich scheidend wende!
    Schon wird von des Stromes Wogen
    Rasch der Nachen fortgezogen,
    Doch den thränendunklen...

  • Dich beneid' ich, klare Silberwelle,
    Die Du ohne Rast von hier enteilest,
    Nach der Heimat, wo die Theure wohnet.
    Ach, Du ziehst wol an dem Strand vorüber,
    Wo sie sinnend, still versunken, wandelt.
    Und Du hemmst das munter rasche...

  • Säuselnde Lüfte
    Wehend so mild,
    Blumiger Düfte
    Athmend erfüllt!
    Wie haucht Ihr mich wonnig begrüßend an!
    Wie habt Ihr dem pochenden Herzen gethan?
    Es möchte Euch folgen auf luftiger Bahn!
    Wohin?

    ...
  • Tirili, tirili, eia,
    Der Mai ist da;
    Paaren sich Vöglein im dunkeln Gebüsch?
    Bangt Euch?
    Verlangt Euch?
    Blühende Mägdlein, wie Rosen so frisch?

    Tirili, tirili, eia,
    Nachtigallen sind da;
    ...