Wintermärchen

I.
Zum Eingang
Mitten in des Winters Tosen
Ist ein Frühling mir erblüht,
Daß ein Strauß von Liederrosen
Rings in holder Fülle glüht.

Was kein Lenz in seiner Schöne
Hat die Liebe nun vollbracht,
Halbvergess'ne traute Töne
Klingen hell aus dunkler Nacht.

Daß zum Liede Alles werde,
Gönnt ein freundliches Geschick:
Meiner Liebsten Huldgeberde
Und ihr Lächeln und ihr Blick.

Was in Freuden, was in Schmerzen
Mich bedrückt mit süßer Last,
Nehm' als Lied ich mir vom Herzen
Wie die reife Frucht vom Ast.

Blätter, Lieder, werdet Kränze,
Reich vom dunklen Grün umlaubt,
Blüthen seid zu ew'gem Lenze,
Dem kein Frost die Schönheit raubt.

II.
Hätt' ich wirklich recht vernommen?
War das nicht ein Mißversteh'n?
Selt'ner batst du mich zu kommen,
Früher soll ich von dir geh'n?

Falsches Wort, das deinem Munde
Deinem lieblichen entfloh:
Noch, so meinst du, sei's zur Stunde
Besser für uns beide so.

Wie verständig, o wie weise -!
Und du reichtest mir die Hand,
Zitternd, bebend, daß ich leise
Ihren leichten Druck empfand.

Und die Augen schlugst du nieder -
Lange mochten wir so stehn,
Doch du wagtest nicht mehr, wieder
Offen zu mir aufzuseh'n.

III.
Ein leises Wort, ein flücht'ger Scherz
Treibt dir die Röthe auf die Wangen,
Wie Rosen, plötzlich wachgeküßt
Vom Lenz in lichter Schönheit prangen.

Du senkst den Blick, du bist verwirrt,
Beschämt, und willst es nicht gestehen -
Mir aber ist, als hätt' ich dich
Noch nie so wunderschön gesehen.

IV.
Kaum fass' ich das Glück - wer hätt' es geglaubt,
Daß du so mich wirst lieben müssen?
Du neigtest willig dein schönes Haupt,
Bedeckt von meinen Küssen;
Du schlossest die Augen zu jener Stund',
Ich küßte dir Augen und Hals und Mund,
Ich küßte dir Stirn und Locken -
Da bist du mächtig erschrocken.

Du schlossest die Augen zu jener Stund',
Ich hielt dich jauchzend umfangen;
Wie lohten die Küsse auf deinem Mund',
Wie brannten die rosigen Wangen!
Ich trank deiner liebenden Seele Glut,
Nun wogt durch die Brust mir und stürmt die Flut,
Daß ich dich halten und küssen
Und ewig werd' lieben müssen.

V.
Dir brennt die Stirn in holder Zier,
Die vollen Lippen beben,
Mit meinen Küssen hab' ich dir
Die Seele hingegeben.

Ich gab dir All' was in mir ruht,
Was Schönes mir geblieben,
Dir meines Denkens heiße Glut
Und meines Herzens Lieben.

Ich küßte nicht die Lippe nur,
Ich küßte dir die Seele,
Daß so dein Sein auf lichter Spur
Sich meinem Sein vermähle.

Nun trennt uns Nichts; kein Wetterschlag
Macht uns in Angst erbeben,
Weil Eins im Andern nur vermag
Zu lieben und zu leben.

VI.
Wenn die Lippe nicht mehr sprechen,
Nur verzückt mehr stammeln kann,
Hebt der Augen zauberreiche,
Wunderbare Sprache an.

O es flehen diese Augen,
Wie noch nie ein Mund gefleht,
Straflos dürfen sie gestehen,
Was die Lippe nie gesteht.

Und die Blicke dürfen klagen,
Was die Seele bang erfüllt,
Und die Klage weckt die Thräne,
Die der Augen Glanz verhüllt -

Daß ihr holdes Licht verdämmert,
Von der Wimper überdacht,
Und die Liebe überselig
Schweigend wandelt durch die Nacht.

VII.
Wenn die schönheitfrohe Menge
Du gesenkten Blicks durchschreitest
Und im wogenden Gedränge
Leichte Siege dir bereitest;

Wenn die Männer, wenn die Frauen
Wie gebannt vom Zauber stehen,
Wenn sie deine Anmuth schauen,
Wenn sie deine Reize sehen:

Fürchte Nichts, ich schelte nimmer,
Nimmer zürn' ich meinem Kinde,
Strahlst du wie der Sonne Schimmer
Und die Pracht der Hyacinthe.

Strahlt doch jene allen Welten
Und die Blume duftet Allen;
Also darf ich dich nicht schelten,
Daß du Allen mußt gefallen.

Nein, berauscht von deinem Ruhme
Möcht' ich aller Welt es zeigen:
Mir, o mir gehört die Blume
Und die Sonne ist mein eigen!

VIII.
Kleine Füßchen, kleine Füßchen,
Seh' ich euch, so muß ich fragen:
Wie vermögt ihr dieser Glieder
Stolzen Wunderbau zu tragen?

Wie vermögt ihr so geschmeidig
Euch zu wenden und zu biegen,
Daß des Körpers holde Fülle
Wie auf Federn mag sich wiegen?

Kleine Füßchen, kleine Füßchen,
Halt' ich euch, so muß ich fragen:
Wie vermögt ihr zart und zierlich
Einer Hülle Druck zu tragen?

Eure Formen, schön gestaltet,
Sollt' auch Seide nie umfangen,
Schmücken würd' ich nur mit Gold euch
Und mit Ringen und mit Spangen.

Kleine Füßchen, kleine Füßchen,
Küss' ich euch, so muß ich fragen:
Ob euch auch ein Gott gesegnet,
Eure Herrin fromm zu tragen?

Daß sich steil der Pfad nie hebe,
Daß kein Stein sich schädlich spitze,
Daß kein Abgrund heimlich drohe
Und kein Dorn die Ferse ritze.

IX.
Nein, beklage nicht, o klage
Nicht, weil ich zu jeder Frist,
Unter Küssen selbst dich frage,
Ob du ganz mein eigen bist.

Denn auf freudeleerem Pfade
Schritt ich einsam durch die Nacht
Und nun wie ein Stern der Gnade
Strahlt mir deiner Schönheit Pracht.

Jedes süßen Schmeichellautes
War ich überlang entwöhnt
Und nun zittr' ich, weil ein trautes
Wort der Liebe zu mir tönt.

Und ich zage, bebe, lausche
Und verzehre mich in Gram,
Ob nicht schon der Ton verrausche,
Den mein trunknes Ohr vernahm.

Stumm und klaglos, ohne Wanken
Trug ich manches bittre Leid,
Doch unfaßbar, ohne Schranken
Däucht mich diese Seligkeit.

Drum muß ich dich immer fragen
Und mein Herz es jubelt laut,
Hört es dich von Neuem sagen,
Was du ihm schon oft vertraut.

X.
Deinem Zauber hingegeben
Folg' ich willenlos und blind!
Dir vertraut' ich ganz mein Leben
Und du führst mich wie ein Kind.

Aber oft in bösen Stunden,
Wenn du mild besprichst mein Herz,
Zuckt mir plötzlich, jäh empfunden,
Durch die Brust ein wilder Schmerz.

Mächte, die verborgen schliefen,
Unheilvoll in ihrem Lauf,
Steigen aus den tiefsten Tiefen
Meiner Seele nächtig auf.

Mächte, die das Herz zerspalten,
Haß und Groll und Eifersucht,
Gleich dämonischen Gestalten
Jagen sich in toller Flucht.

Wie dem See, der lichtdurchzittert
Unter Sternen wonnig schweigt,
Plötzlich grollend und erbittert
Jäh der wilde Sturm entsteigt -

Und er peinigt der entsetzten
Wogen Schwall von Ort zu Ort
Und die Rosen die zerfetzten
Treiben auf der Fläche fort:

Also bin ich ganz verfallen
Jener wahnwitzgleichen Gier
Und des Sturmes scharfe Krallen
Haften in der Seele mir.

Meiner Liebe Rosen bleichen,
Sie, mein Segen und mein Hort,
Und die blassen, stummen Leichen
Treiben auf den Wellen fort.

Rette mich, aus deinen Augen
Strömt der Sonne goldne Glut,
Und von deinen Lippen saugen
Laß mich neuen Liebesmuth!

Zu dir flieh' ich - dich umflechten
Will ich, ruh'n am Busen dir:
Rette vor den finstern Mächten,
Rette, rette mich vor mir!

XI.
Wird auch vom Kuß die Wange bleich,
Die Lippe todeswund,
O küsse, küsse mich sogleich,
Küß' mich zu jeder Stund'!
O küß' mich jetzt, da rauh der Schnee
Umtost das Haus mit Macht,
Daß ich in deinen Augen seh'
Der Sonne lichte Pracht.

Und wenn dereinst im Frühlingsschein
Die rote Rose springt
Und träumerisch im Schattenhain
Den Kelch voll Weihrauch schwingt;
Wenn goldne Sterne Baum und Strauch
Mit Blüthen übersä'n,
Auch dann soll deiner Küsse Hauch
Mir heiß das Haupt umweh'n.

O schöner Lenz, vom Blitz umdroht
Im Wetter darfst du flieh'n -
Wer sagt mir einen schönern Tod,
Als flammend heimzuzieh'n?
Der Sonne gleich, die Fluth um Fluth
Hinstrahlend überblinkt
Und dann in einem Meer von Glut
Zur Nacht taucht und versinkt.

XII.
Wie hass' ich diese Welt, die staubgeboren,
Im Staub sich windet, niedrig und gemein!
Das große Anrecht hat sie längst verloren,
Des Schöpfers großes Ebenbild zu sein.

Vom Neid gebläht, verrätherisch im Lieben,
Im Hassen feig, maßlos in List und Trug,
Hoffärtig, knechtisch, eigennutzgetrieben,
Den Tauben ungleich und wie Schlangen klug -

Das Glück vergötternd und das Unglück höhnend,
Den Unwerth preisend und im Großen klein,
Vom Lärm entzückt, wie leere Schellen tönend -
Das seid ihr Alle und das wollt ihr sein.

Würd' mir ein Gott das große Wort vertrauen,
Das Fluch und Tod für Alles in sich hält,
Noch heute schleudert ich's, ohn' umzuschauen,
Ins Angesicht der tief verhaßten Welt.

Und bräche sie gigantenhaft zusammen,
Gern sink' ich hin sammt der erlog'nen Pracht,
Der Himmel stürzt und er erstickt die Flammen,
Der Tag erlischt und ewig währt die Nacht.
_

Wie lieb' ich dich, du himmlisch hohes Wesen,
Schön wie ein Engel, strahlend wie der Tag!
An deinen Lippen ist mein Sein genesen,
Das krank und müde längst danieder lag.

Wie lieb' ich dich! denn du bist Lieb' und Güte,
Hold wie dein Leib ist auch dein Herz zumal,
Traumreiches Sinnen wiegst du im Gemüthe,
Duft ist dein Kuß, dein Blick ein Frühlingsstrahl.

Würd' mir ein Gott das große Wort vertrauen,
Das alles Segens reichste Fluth ergießt,
Ich spräch' es aus und würde selig schauen,
Wie auf dein Haupt die holde Gabe fließt.

Gesegnet sei! der Güter stolze Wellen
Umrauschen dich als Herrin voll und klar
Und wie sie überschüttend dich umquellen,
Bist schön und reich du wie kein Weib noch war.

Auf dein Haupt Alles! Mögen wir verderben -
Gern sink' ich hin, es wär' ein kleiner Preis!
Denn überherrlich ist es ja zu sterben
Für den, der was er liebt auch glücklich weiß.
_

Und doch! Hat nicht auch jene dich geboren,
Dieselbe Welt, der mein Verwünschen galt?
Nein, nein! du hast den rechten Pfad verloren,
Du irrtest ab und kamst zu uns gewallt.

Du bist von andern, bist von schönern Fluren -
Doch still, ich presse deine kleine Hand,
Ich halte dich, ich segne deine Spuren
Und forsche nicht nach deinem Heimathland.

Du bist ein Stern, der rings umdroht von Wettern,
Von schwarzen, finstern, einsam blitzt und glüht;
Bist eine Rose, die mit duft'gen Blättern
Am tiefen Abgrund überhangend blüht.

Du bist ein Traum, der mitten uns im Schlummer
Dem sorgenschweren licht und sonnig grüßt,
Ein Engel, der den fluchbelad'nen Kummer
Und lächelnd von der trüben Stirne küßt.

So weilst du hier, so segnest du im Stillen,
Beglückst die Welt und nennst beglückt sie dein -
Dein bin ich ganz: so soll um deinetwillen
Auch diese Welt von mir gesegnet sein.

XIII.
Wie gut du bist! du zwingst mit lieber Macht
Mein müdes Haupt an deine Brust zu legen,
Die bleiche Stirne küssest du mir sacht,
Wie Mütter Abends mit den Kindern pflegen,
Die sich im Spiele wild und fessellos
Müdtobten und schlaftrunken steh'n und lallen,
Um endlich auf der Mutter treuem Schooß
Des Schlummers süßem Banne zu verfallen.

Müd' bin auch ich. Bei Gott, es war kein Spiel;
Das war ein harter, heißer Kampf ums Leben -
Nicht um ein eitel, aberwitz'ges Ziel,
Nein, um das Sein, das ich mir nicht gegeben;
Ein Kampf um eine überschwere Last,
Nur aufgedrungen, wie dem niedern Sclaven,
Und rings, soweit ich kam, nicht Eine Rast,
Kein Land, soweit ich sah, kein Bord, kein Hafen.

Die Wogen rollten windgejagt und schwer,
Sie leckten gierig an des Kahnes Wänden.
Wer wagt den Sprung, der ihm vielleicht das Meer
Versöhnt? - Das Elend würd' er sicher enden.
Oft sehnt' ich mich nach einem stillen Hain,
Nach einem Haus, das noch kein Blitz getroffen,
Nach einem Freund, nach holdem Sonnenschein -
Da fand ich dich und ich begann zu hoffen.

So wenn tagüber aus des Himmels Thor
Herbstlich die Stürme rasten über Haiden,
Theilt spät am Abend sich der Wolken Flor:
Die goldne Sonne lächelt beim Verscheiden
Des müden Tags; mit reicher Farbenpracht
Füllt sie die Luft, bald blitzt ein Regenbogen
Und durch ihn kommt die Königin der Nacht,
Des Todes Schwester, schweigend eingezogen.

Wär' das mein Loos? Wär' mir dein frommer Blick
Ein letzter Gruß nur an des Lebens Grenze?
Müd' ist mein Haupt, ein mitleidlos Geschick
Versagte meiner Jugend Spiel und Tänze.
Was kommen mag, ich trag' es still. Denn dein
Gedenken soll hinüber mich geleiten,
Den Sternen gleich, die ihren Silberschein
Mild auf die Nacht und auf die Gräber breiten.

XIV.
Frag' nicht das Auge thränenvoll
Dem Ende nach und nicht dem Schluß -
Es kommt gewiß, was kommen soll,
Es kommt gewiß, was kommen muß.

Und zagst du, weil noch jeder Tag,
Noch jedes Licht versank in Nacht?
Und weil den Nachtigallenschlag
Des Herbstes Weh'n verstummen macht?

Und weil noch jeder Frühling floh
Mit seiner Pracht, so bebst du still,
Wenn dich die Liebe jugendfroh
Mit Rosen überschütten will?

Bedenk': ein Blick, ein Kuß, ein Wort,
Das treue Liebe gab und sprach,
Wirkt tief im Herzen fort und fort
Mit immer neuem Segen nach.

Die Liebe waltet götterlicht
Erhaben über Raum und Zeit,
Und fluthet, wenn die Schale bricht,
Unsterblich hin in Ewigkeit.

XV.
Noch ist mir's wie ein Traum;
Ich stand betäubt, zerschlagen,
Wie blitzumloht ein Baum
Hinsinkt in jungen Tagen:
Mir war, ich müßt' zur Stund'
Auf immer von dir gehen
Und dennoch sprach mein Mund:
Lebwohl auf Wiedersehen.

O liebgewohnter Gruß,
Wenn du dich zu mir neigtest
Und mir die Stirn zum Kuß,
Zum Abschiedskusse reichtest.
Du schlangst um mich den Arm
Mit einem Blick voll Flehen
Und sprachst so treu und warm:
Lebwohl auf Wiedersehen.

Und nun? Gewiß, ich soll,
Ich muß dich ewig meiden -
Und doch, da ohne Groll
Ich konnte von dir scheiden,
Möcht' aus der Götter Schooß
Ein Zeichen drin ich sehen,
Daß ich sprach willenlos:
Lebwohl auf Wiedersehen.

So möcht' ich fort und fort
Stets neuem Wahn mich fügen;
Doch nein, es sei dieß Wort
Mein letztes Selbstbetrügen.
Es soll gleich deinem Schwur
Wie Staub im Winde wehen -
Ich sprach's im Traume nur:
Lebwohl auf Wiedersehen.

XVI.
Nichts will ich mehr von dir verlangen,
Entsagen lernte früh mein Herz;
Das holde Band, das uns umfangen,
Zerbrachst du lächelnd, ohne Schmerz.
Du hast das Elend kaum ermessen,
Das deine Hand mir spielend bot;
So wag' ich's denn, dich zu vergessen:
Für mich sei todt.

Es muß. Du würdest mir den Glauben
Selbst an der Sonne holden Schein,
An Luft und Licht, an Alles rauben -
Vergessen sei! Es muß so sein.
Betrog mich nicht dein frommes Blicken?
Dann trügt auch Stern und Morgenroth;
Vergessen sei! Es muß sich schicken:
Für mich sei todt.

Oft wohl besuchst du mich in Träumen,
Dein süßer Klang bestrickt mein Ohr,
Doch fort! du darfst bei mir nicht säumen,
Elender wär' ich, denn zuvor.
Drum schone mein; das süße Sehnen
Zeugt neuen Kummer nur und Noth;
Genug ist's wahrlich nur der Thränen:
Für mich sei todt.

Stets soll die Schönheit dich umfließen,
Die einst entzückt mein Auge trank,
Und alles Glück sollst du genießen,
Das mir mit deinem Bild versank.
Reich wie ich arm soll nie dich kränken
Ein Schmerz, wie mir dein Falsch ihn bot -
Dieß sei mein letztes Deingedenken:
Für mich sei todt.

XVII.
Nachklang
Zur Zeit der Dämm'rung war es und der Träume,
Daß deine Liebe ich gewann, mein Kind;
Da irrte durch die eisumstarrten Bäume
Ein wilder Bursche der Novemberwind.
Der Winter ging und als mit Keim und Sprossen
Sonnüberblitzt sich neu die Welt umsäumt,
Da war auch uns'rer Liebe Spiel beschlossen,
Das holde Wintermärchen ausgeträumt.

Ein Märchen nur! Und doch! Selbst jetzt, da quellend
Würzreicher Duft aus Blumenkelchen dringt
Und aus dem Strauch von Rosen dort sich schwellend
Das Lied der Nachtigall zum Ohr mir schwingt,
Selbst jetzt, da lockend sich des Monds Gefunkel
Durch Lindenzweige Pfad sucht ins Gemach -
Selbst jetzt noch sinn' ich in der Nächte Dunkel
Dem schönsten Märchen meines Lebens nach.

In dichten Wolken, wie ein Heer Unholde,
Großflockig kam von wüstem Sturm geschnellt
Der Schnee gewirbelt, endlos schied, als wollte
Zu ew'gem Schlaf begraben er die Welt.
Erstorben schien der Schöpfung heilig Feuer
Und da der Wind emporgeschreckt vom Ried
Das Feld durchklagte und des Thurms Gemäuer,
Pfiff er ein wahres Todtengräberlied.

Uns aber schuf er wahrlich keine Sorgen:
Umwogt von Winters wüthendem Gebraus
Umschloß uns, wie von Feenhand geborgen
Und eingezaubert, eng ein schirmend Haus.
Du wiegtest dich - ein Lied einst von der Amme
Gelernt hinsummend - lässig am Kamin
Im Schauckelstuhl und blicktest in die Flamme,
Die dein umlocktes Angesicht beschien.

Von hoher Decke aus krystallner Schale
Floß matte Helle, wie das ew'ge Licht
Vor dem Altare nur mit halbem Strahle
Auf Christi Bild durch Weihrauch dämmernd bricht.
Doch mich umschlang hell wie die weiße Rose
Im Mondschein bebt dein Arm so weich und rund,
Daß eifersüchtig mir auf deinem Schooße
Die Zähne wies Bagat, dein kleiner Hund.

Und wie behaglich ist es zu erzählen,
Fährt zum Kamin manch Windstoß jäh herein!
Nicht ruht' ich, um Geschichten dich zu quälen
Von deiner Mutter und vom Schwesterlein,
Vom Heimathhaus - denn immer wieder gerne
Hört' ich von dir die Streiche keck und toll
Und war entzückt, wenn dir, du Stern der Sterne,
Solch süß Geplauder von den Lippen quoll.

Gewiß, ein Kobold haust' in dir, ein ächter,
Auf übermüth'ge Possen nur bedacht -
Wie lieblich klang dein tönendes Gelächter
Wenn rückerinnernd du dich selbst belacht.
Und plötzlich Thränen? Ei, wer wird die Leiden,
Die And'rer Bosheit neidvoll schafft, gesteh'n?
Ein Mädchen bist du, herrlich zum beneiden,
Und soll die Bosheit dir vorübergeh'n?

Wozu der Schmerz? Ein tolles Abenteuer
Ist all das Leben nur ... Doch raschen Grimms
Hinstießest du die Zange in das Feuer
Und stampftest mit den Füßchen das Gesims.
Hoch loderten die aufgeschürten Flammen
Und hinter uns wie ein Gespensterchor
Neigten die Schatten flüsternd sich zusammen
Und stiegen dräuend an der Wand empor.

Wie zur Beschwörung schien's, wenn in die Kohlen
Duftkörner deine kleine Hand dann goß,
Daß aus dem Rauch mit muntern Capriolen
Ein Schwarm von Liebesgöttern uns umfloß.
Und lächelnd beugte sich dein Haupt hernieder
Zum Herzen mir, so reich an Seligkeit -
O Zeit der Liebe, goldne Zeit der Lieder,
Des Glückes und der Weltvergessenheit!

Dazwischen klang's von Schlitten wie Geläute,
Wie Flötenlärm und lust'ger Peitschenknall,
Durch volle Straßen jubelte die Freude
Und weckte den tagmüden Wiederhall.
Hier schöne Frau'n, gehüllt in Pelz, die Wangen
Vom Frost geröthet und vom Fackelglanz -
Dort bunte Masken, Blumen, Flitterprangen,
Fanfaren, Gläserklang und Spiel und Tanz.

Hui wie sie sausten, all die Schlitten, Wagen!
Und wie der Rosse wohlgeschärfter Huf
Hinflog! Laß seh'n, ob sie das Glück erjagen,
Das uns ein Gott hier in der Stille schuf.
Was Mummenschanz! Ist's nicht der Liebe Feier,
Die uns den Raum mit holden Bildern füllt?
Schlag' deine Augen auf, o heb' den Schleier,
Der neidisch meiner Sonne Glanz verhüllt .....

Doch einmal war's - du ruhtest mir zur Seite,
Leicht schlummernd - als ein wunderbarer Laut
Das Herz uns traf, verhallend, aus der Weite,
Wie nie gehört und seltsam doch vertraut.
So klingen oft nach vielen, vielen Jahren
Im Ohr uns halbvergess'ne Melodien
Der Kinderzeit, die, daß wir glücklich waren,
Wehmüthig mahnend unsre Brust durchzieh'n.

Jäh fuhrst du auf, ich sah zu dir erschrocken
Empor; du aber lauschtest lang und lang,
Dann jauchztest du und schütteltest die Locken:
Hinaus, hinaus, das war der Lerche Sang!
Wie siegverkündend klangen ihre Töne!
Hinsank die Nacht - die Lerche rief's - und Zeit
Ist's endlich, daß die Erde sich bekröne
Mit neuer Lust und junger Herrlichkeit.

Den Laden auf! Wie blitzte dir das Auge!
Und Frühling ward es wie mit Einem Schlag,
Daß das Gewölk gerührt vom leichten Hauche
Der Sonne strahlendes Gestirn durchbrach.
Zur Erde blicktest du: da sproßten Blüthen,
Befreit vom Eise rauscht' der Wasserfall,
Der Flieder duftete, die Rosen glühten
Und fern im Land schlug eine Nachtigall.

Ich stand geblendet - herrlich anzuschauen
Gingst du von dannen, Göttin an Gestalt,
Mit mildem Blicke segnend Feld und Auen,
Von Himmelslicht und Sonnenglanz umwallt.
O komm zurück, mein Frühling, Born der Lieder,
Mein Lenz, der winterlang bei mir gesäumt!
Umsonst - dich rief die Welt, du kehrst nicht wieder:
Das schönste Märchen, ach, ist ausgeträumt.

Collection: 
1869

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