Paraphrase

Ach, wer hat es nicht erfahren,
Daß ein Blick, ein Ton, ein Duft
Was vergessen war seit Jahren
Plötzlich vor die Seele ruft.
Geibel

Wer hat es nicht an sich schon selber oft erfahren,
Daß unversehens ihm nach vielen, vielen Jahren
Ein Blick, ein Ton, ein Strahl, ein Duft
Was längst vergessen schien, versunken und vergangen,
Neukräftig, lebensfrisch, wie in dem ersten Prangen
Vor die erstaunte Seele ruft.

Ohnmächtig ist der Mensch. Das es mit stolzem Munde
Gepriesen noch, das Glück fällt schon der nächsten Stunde
Zum Raub, ereilt von altem Fluch:
Denn auf das lichte Grün der Tage sinkt bedeckend
Rings die Vergessenheit - ein Grau, das sich erschreckend
Ausbreitet wie ein Leichentuch.

Wehmüthig sah auch ich manch holdes Glück entfliehen,
Kaum hielt ich es so lang als süßen Melodien
Ein Wandrer lauscht im grünen Wald,
Wenn fern ein Horn ertönt in sehnsuchtsvoller Klage,
Die Luft durchzittert und zuletzt wie eine Sage
In leichten Schwingungen verhallt.

Das ganze Leben scheint nur Eine Todtenfeier -
Wie durch ein Zauberwerk hebt plötzlich sich der Schleier,
Der auf dem längst Vergang'nen lag.
Es war ein Ton, ein Duft! Und was du einst genossen,
Taucht herrlich vor dir auf, von Dämmerlicht umflossen
Und schöner als am ersten Tag.

Laut jubelte dein Herz und daß es nicht verschwände
Das Glück, das vor dir stand, ausstrecktest du die Hände,
Wie nach dem Weihnachtsbaum ein Kind,
Umsonst! Sie weichen schon, die lieblichen Gestalten:
Du darfst nur selig schau'n, umarmen nicht und halten,
Die gleich geschied'nen Seelen sind.

An ihrem Anblick nur darfst du dich ganz berauschen,
Nur ihrem Flüstern darfst du hingegeben lauschen,
Das dich durchschauert wie Gebet.
Sei froh, doch wie im Traum: es neigt sich zu dir nieder
Und auf den Lippen fühlst der Küsse Glut du wieder,
Die einst dich Glücklichen umweht.

Wer hat es nicht an sich schon selber oft erfahren,
Daß unversehens ihm nach vielen, vielen Jahren
Vergess'nes auftaucht aus der Nacht.
Es war ein Ton, ein Duft - ein Gruß aus weiter Ferne,
Vielleicht von fremden Strand, vielleicht von einem Sterne,
Wo eine Seele dein gedacht.

Collection: 
1869

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