Hilmar an Emma
Ja, ich hab' es gefühlt in allen Tiefen der Seele,
Daß die Freude noch nicht ganz von der Erde verschwand,
Daß in Empfindungen sie der wieder vereinigten Liebe
Strömend noch in die Brust ihrer Erwählten sich gießt!
Ja, ich hab' es gefühlt in der überseligen Stunde,
Als ich nach Trennung und Schmerz, Emma, am Halse dir hing!
Zitternd, als hätten wir uns Jahrhunderte lang nicht gesehen,
Und als trennten uns Jahrhunderte wieder, so flog,
Emma, so flog ich dir in süßer Verwirrung entgegen,
Und wie ein Göttertraum fiel es vom Himmel auf mich.
Emma, wie war mir, als jetzt, in sel'ger Wiederumarmung
Sympathetisch mein Herz nahe dem deinigen schlug!
Sturm durchfuhr mein Gemüth, ich taumelte wie ein Betrunkner,
Jede Besinnung entschwand, ringsum verging mir die Welt,
Bis mir aus langer Betäubung besonnene Freude zurückkam,
Und ich, meiner bewußt, ruhiger fühlte mein Glück.
Was empfanden wir nicht, wie besprachen sich unsere Herzen,
Trotz dem verstummenden Mund, durch den beredteren Blick!
Unsre Gedanken erklärten sich nicht in langsamen Worten,
Unsern Empfindungen war jegliche Sprache zu arm;
Dennoch verstanden wir uns. Das sagte die innige Freude,
Die wie des Morgenlichts purpurner Glanz uns umfloß,
Das die eilende Zeit, die unbemerkt mit der Schnelle
Eines zuckenden Strahls, eines Gedanken entfloh.
Selig waren wir, selig! Die Schmerzen der Liebe versanken
In den verschlingenden Schooß tiefer Vergessenheit uns.
Nicht des Vergangenen mehr und nicht des Künftigen denkend,
Schlürften des Augenblicks schäumenden Becher wir ganz,
Bis die neidische Sonn' am Abendhimmel hinabsank,
Und dich die kommende Nacht meiner Umarmung entriß.
Aus: Gedichte von Neuffer
Zweites Bändchen Cabinets-Ausgabe
Hildburghausen u. New York
Druck und Verlag vom Bibliographischen Institut 1829