An Iduna
In deiner Jugend herrlichen Blüthe, sey
In deiner Schönheit prächtigem Schmuck gegrüßt,
Mit fesselloser Brust und frohen,
Festlichen Liedern, du holder Frühling!
Du Lieblingskind der Mutter Natur! Zerstreut
Sind alle Wolken; lächelnd und heiter wallt
Der blaue Aether, und der Sonne
Flammendes Auge durchwärmt die Lüfte.
Ein grüner Teppich breitet im Felde sich
Mit bunten Farben lebend und schimmernd aus;
Die Bäume senken dichtbelaubte
Aeste zur Erde mit weißen Blüthen;
Vertraute Dämm'rung webt in dem Eichenwald;
Die Tanne düftet würzigen Wohlgeruch;
Die Rebe schlingt um die erhöhten
Stäbe den zärtlichen Arm mit Liebe;
Der muntre Hirt treibt singend die Heerden heim;
Die Schaafe blöcken weidend am Hügelsteg,
Das Lustgebrüll der muntern Stiere
Schallt in dem Thal und der Rosse Wiehern;
Die Lerche steigt süßtrillernd zum Himmel auf;
Im dunkeln Schatten flötet die Nachtigall.
Wohin mein Ohr, mein Auge reichet,
Lebet und webt die Natur in ihren
Erfreuten Kindern herrlich und neuverjüngt.
Von hoher Wonne schlägt mir das volle Herz;
Der Lebensströhme reges Rauschen
Weckt mir das tiefste Gefühl im Busen.
Hier will ich weilen unter dem Laubgewölb
Des zweigeschweren, schattenden Apfelbaums;
Auf diesem Hügel mein entzücktes
Aug' an der prächtigen Gegend weiden,
Die weitumher mit fruchtbarn Gefilden, mit
Volkreichen Dörfern, schimmernden Städten, mit
Dem schönen See, und fern im Grunde
Sich mit dem blauen Gebirg eröffnet.
Hier will ich noch die Abendbeleuchtung seh'n,
Der hohen Sonne freundlichen Scheideblick,
Bis stiller nun die Welt und stiller
Sinkt in den nächtlichen Arm des Schlummers,
Und, sanft umweht vom Flügel der Liebe, dein,
Iduna! dein du himmlische Seele, die
Mir ferne weilt und doch so nahe,
Süßer Erinnerung voll gedenken,
Und ahnend mich der festlichen Stunde freu'n,
Wo ich, von deinen Armen umschlungen, bald
Den Frühling schöner blühen sehe,
Prangend im Kranze beglückter Liebe.
Aus: Gedichte von Christian Ludwig Neuffer
Stuttgart bei J. F. Steinkopf 1805