An die Thränen

Tropfen himmlischer Auroren
Dem Gemüthe aufgegangen,
Dort am Born des Lichts geboren,
Von der Blüthe heißer Wangen
Dann so sehnend aufgegangen;
Perlen, die die Welt verklären,
Sich vom eignen Glanze nähren;
Ahndungsvolle Regenbogen
Durch die Seele hingezogen
Seid gegrüßt, ihr linden Zähren.

Thränen, welche Lust vergossen,
Thränen, die den Blick erhellt
Wenn ihr sanft ihn eingeschlossen,
O ihr seid uns zugesellt,
Boten einer Friedenswelt.
Deutlich fühl ich eure Wellen
Mir am Herzen ringend schwellen,
Eh' ihr in das Auge dringt,
Euch im lichten Bogen schwingt;
In der Brust sind eure Quellen.

Und in eurer milden Kühle
Schwimmen, wie das Licht im Bach,
Die Gedanken, die Gefühle;
Sind die Worte einzeln, schwach,
Werden zartre Töne wach.
Wie wir fernem Stromesrauschen
In dem Abendlichte lauschen,
Wenn der schwüle Tag verglommen;
Kommt ihr dämmernd hergeschwommen,
Daß wir Leid mit Lust vertauschen.

Töne süßer Fantasien
Sind der ersten Nachtigall,
Lerchen ist der Dank verliehen,
Holder Stimmen weicher Schall
Grüßt den Aether überall;
Wenn die Worte mir entfliehen,
Keine Töne mir geliehen
Laut zu fühlen, was ich fühle,
Welch ein Bad die Brust umspüle,
Welch ein Strom von Melodien:

O dann kommt aus stummer Wonnen,
Aus des Herzens tiefstem Quell,
Diamanten, ihr geronnen,
Und es wird um sich so schnell
Wohllautathmend, lebenshell.
Aus verworrenen Getösen
Will sich lautre Stimmung lösen;
Wie vor mir der Staub zerstoben,
Dringt das Gute still nach oben,
Und der Nebel bleibt dem Bösen.

Collection: 
1905

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