Die schönste Inclination

 
Du fragest / was denn wohl mein freyes Hertz kann binden /
Weil es ein schwartzes Aug und Haar nicht fesseln kann?
Ob mich ein schöner Leib und Fuß nicht könn entzünden /
Die sonst den Weibern leicht die Ketten legten an?
So würd ein rother Mund mir etwan wohlgefallen /
Ein angenehmer Blick und eine weiße Hand?
Doch wisse / werther Freund / von diesen Stücken allen
Hat keines noch bisher die Freyheit mir entwandt.
Ich tadele zwar nicht die Lobens-werthen Gaben /
Die manchem die Natur vor andern mitgetheilt:
Doch solt er Schönheit auch als wie Adonis haben /
Daß / wie Narcissus er damit zum Brunnen eilt:
So kann im minsten diß mein Hertze nicht bewegen /
Daß es sich fesseln läßt mit einem Sclaven-Band.
Was aber meiner Brust die Netze weiß zu legen /
Das ist ein hoher Geist und trefflicher Verstand /
Ein wohlberedter Mund / ein ungezwungnes Wesen /
Ein auffgeweckter Sinn und unverrückte Treu:
Diß hat mein Hertze sich vor jenen außerlesen.
Nun sag / ob meine Wahl hierinn zu tadeln sey?

Collection: 
1715

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