Scheiden

Noch immer hält da droben
Der Sonne Abendgold
Des Berges Haupt umwoben –
Uns ist sie längst hinabgerollt.
Noch halt' ich deine Hände
Mit meinen warm umpreßt
Und noch nicht ganz zuende
Ist dieses schöne Lebensfest.

Die Bergesgipfel färben
Sich purpurn, bläulich, fahl;
Die frohen Lichter sterben
Und graue Dämmrung fällt in's Thal.
Dort hör' ich kommend schnauben
Den Zug – bald wird er gehn
Dich mir hinweg zu rauben
Und leicht auf Nimmerwiedersehn.

Nun sucht, schon halb im Traume,
Der Berg im Nebelhut
Am fernen Erdensaume
Den letzten Streifen Abendgluth.
Wir müssen scheiden, scheiden
Da wir uns kaum erkannt;
Nun zahlt das Herz mit Leiden
Die Wonnen die es voll empfand.

Vom Süßen geht's zum Herben,
So ist es nun einmal.
Die letzten Lichter sterben
Und tiefe Nacht bedeckt das Thal.
Die Räder auch verhallten
Schon längst, die dich entführt;
Die Schiene fühl' ich kalten
Die lauschend noch mein Ohr berührt.

Collection: 
1871

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