Schöner wirst du jetzt mit jeden Tage,
Und die Lockenhärchen an der Stirne
Fluten reich um deine tiefen Augen.
Voller blüht die Wange, blühn die Lippen,
Wie die Rosen, auf am Junimorgen.
Nur die feine Blässe auf der Stirne
Ist durchsichtig worden, und die Seele
Leuchtet auf dem Antlitz dir von innen,
Wie verborgne Sonne auf den Sternen.
Dennoch blick' ich oft in Nachtgedanken
Spähend auf zum Himmel dir zu Häupten,
Bangend, ob ein Schicksalsstern, ein düstrer,
Ueber dir und deiner Zukunft stände,
Weil du mich geliebt so unbedachtsam,
Mich, den Sohn des Unglücks von Geburt an.
Glücklicher und klüger warst du sicher,
Hättest einen Schönern du gewählt dir,
Einen reichen Edelmann des Landes,
Oder einen sichren wohlversorgten
Bürger bei der Stadt und bei der Zunftbank.
Hüte dich ein Gott und seine Allmacht,
Daß dich deine Liebe nicht verderbe!
Lieber geb' er Nacht und Stürme wieder,
Gebe mir den Tod selbst, eh ich schuldvoll
Dich in meine Unglücksbahnen ziehe.
Sollst du aber einst mein eigen werden,
Muß die Liebe solche Allmacht üben,
Glück in deinem Stern uns zu beschwören,
Daß dein Leben wolkenlos verfließe,
Wie ein Rosentraum am Junimorgen.
Aus: An die Verlorene (1857-1859)