An L.
Wo die süße Liebe weile,
Fragst Du, Lina? - Frage nicht!
Spähe nicht nach weiter Ferne!
Nach dem goldnen Morgensterne
Folgt von selbst der Sonne Licht.
Liebe will gar viel bedeuten!
Schwankend an der Kindheit Port
Faßt des Geistes zarter Funken,
Von der ersten Ahnung trunken,
Nicht dies tiefe Wunderwort.
Liebe ist ein ernster Engel,
Der von ew'gem Himmelsthron
Niedersteigt zu unserm Herzen,
Weihend sie zu heil'gen Schmerzen,
Weihend sie zu heil'gem Lohn.
Wo er seine Fackel senket,
Flammt die hehre Gluth hinan;
Die den Sterblichen vergöttern,
Aber stürmisch auch entblättern
Seine Erdentage kann.
Wer aus selbstisch eitlem Streben
Buhlet um des Engels Blick:
Muß, wem Lenz und Jugend schwinden,
Einen nicht'gen Schatten finden,
Treulos nennen Liebesglück.
Wer nur weiche Rosenkronen
Hoffte von des Engels Hand, -
Wird ob bittrer Täuschung weinen,
Wenn er zu Cypressenhainen
Ernst sich hingewiesen fand.
Nur wer um der Liebe willen
Liebe suchte, treu und rein,
Fest entschlossen, ohne Wanken,
Ihr mit Willen und Gedanken
Sich als Eigenthum zu weih'n:
Wer vergessend sich, sein Leben
Sucht in des Geliebten Brust;
Wer im Dulden selbst und Leiden
Zu entdecken weiß die Freuden,
Die der Treue nur bewußt:
Wer sich selbst nur kann genügen
In den Opfern frommer Pflicht;
Wem der Treue stille Kronen
Mehr als alle Rosen lohnen,
Die das Glück uns schmeichelnd bricht,
Der begegne jenem Engel,
Ohne Zittern, ohne Scheu!
Sey's in Wonnen, sey's in Zähren,
Seine Gluth wird ihn verklären
Und sein Himmel bleibt ihm treu!
Darum prüfend zu dem Herzen
Wende, Lina! Deinen Blick!
Wollest nicht den Engel rufen,
Bis zu jenes Tempels Stufen
Selbst er naht, mit Schmerz und Glück!
Bau' an diesem Tempel, schmücke
Den Altar ihm blank und rein!
Sind geheiligt diese Hallen,
Dann, mit seinen Kronen allen,
Nimm den Engel furchtlos ein!
aus: Gedichte von Agnes Franz
Zweite Sammlung Essen 1837