Überall und nirgend

Es war so mild, ein süßes Wehen
Floß durch den frischen Gartenwald;
Da hab' ich, Liebe! dich gesehen,
In immer wechselnder Gestalt.

Jetzt kamst du lächelnd mit dem süßen
Und geistig klaren Angesicht,
Dein schönes Auge schien zu grüßen,
Mit seinem seelenvollen Licht.

Und gleich, als spieltest du Verstecken
Sah ich, wo dichter sichs umlaubt,
Hervorspähn aus den Rosenhecken
Dein lieblich braunes Lockenhaupt.

Dann unter einer Thränenweide
Saßt träumend du, am frischen Bach;
Als sännest du vergangnem Leide
Und einer stillen Wonne nach!

Bald zogst du auf des Baches Wellen
Mit mir hinab im leichten Kahn -
So traf ich dich an hundert Stellen,
Dich überall und nirgend an.

Ach, ich vergaß, daß du beständig
In meiner Seele Tiefen bist,
Und daß dein Bildniß nur lebendig
Von Bach und Flur gespiegelt ist!

aus: Gedichte von Ludwig August Frankl
Leipzig F. A. Brockhaus 1840

Collection: 
1880

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