Du willst ein Lied? Du thöricht Kind!
Hast du im Leben schon gesehen,
Daß Funken ohne Brand entstehen,
Daß Lieder kalt entsprungen sind?
Nie hat dein Aug' mich angeschaut
Mit jenem heißen, tiefen Blicke,
Der wandeln könnte die Geschicke
Von zweien Seelen liebvertraut.
Hast du gezittert, wenn ich kam,
Und färbte höher sich die Wange,
Sprachst du in übersel'gem Drange,
Ergriff beim Scheiden dich ein Gram?
Du willst ein Lied? Wozu der Trug,
Was kann ein Lied dir auch bedeuten?
Zu dem Genuß der Seligkeiten,
Die es besingt, bist du zu klug.
Du willst von Liebe nicht ein Lied,
Du willst ein Lied vom Leben hören,
Den losgeriss'nen Klang von Chören,
Der Räthsel spinnend, lösend zieht.
Was menschlich echt, begreifst du nie;
Den Inhalt lebensvoller Stunden,
Du hast ihn kalt nur vorempfunden
Mit deiner Mädchenphantasie.
Lass' erst beleben sich dein Herz,
Lass' Sturm und Wonnen es durchwühlen:
Dann sing' ich dir, dann wirst du's fühlen,
Ein Lied von Glück, ein Lied von Schmerz!
aus: Gesammelte poetische Werke
von Ludwig August Frankl
Erster Band
Wien Pest Leipzig A. Hartleben's Verlag 1880