Der Knabe und das Mädchen

Knabe
Laß! Umsonst in ferne Weiten
Schweift dein Blick, du armes Kind!
Willst du folgsam mich begleiten,
Soll dich meine Hand geleiten,
Wo die schönsten Blumen sind! -
Willst du, Mägdlein, mit mir gehn,
Wo die bunten Blumen stehn?

Mädchen
Kränze ging ich mir zu winden;
Aber Keiner sagte, wo?
Sucht' auf Bergen, sucht' in Gründen,
Keine Blumen konnt' ich finden,
Und ich wurde nimmer froh! -
Wohl denn, Knabe, laß uns gehn,
Wo du bunten Blumen stehn! -

Knabe
Macht der weite Weg dir bangen,
Und der Sonne heißer Brand?
Hoch erglühen deine Wangen,
Und, von meiner fest umfangen,
Zittert deine weiche Hand! -
Mägdlein, laß uns weiter gehn,
Wo die milden Lüfte wehn! -

Mädchen
Blumen seh' ich nirgend blühen,
Und die Reise geht so fern!
Stürme sausen, Wolken ziehen,
Und die heißen Strahlen glühen;
Dennoch, Knabe, folg' ich gern!
Laß uns, laß uns weiter gehn,
Wo die wärmern Lüfte wehn! -

Knabe
Leise Seufzer hör' ich steigen,
Aengstlich klopft dein armes Herz!
Weckt das Flüstern in den Zweigen,
Die sich in einander neigen,
In der Brust dir alten Schmerz?
Willst du, Mägdlein, mit mir gehn
Zu den goldumsäumten Höhn?

Mädchen
Durch die Wipfel seh' ich's blinken,
Süße Klänge hör' ich nahn,
Ahnungsschauer niedersinken,
Ferne Geister freundlich winken,
Und es zieht mich himmelan!
Laß, mein Knabe, laß uns gehn
Zu den goldumsäumten Höhn! -

Knabe
Fühlst du, Kind, die reinen Lüfte?
Wie es süß von oben thaut?
Unter uns der Erde Grüfte,
Um uns her wie Rosendüfte,
Nah' der Himmel, Himmelsbraut!
Willst du, Traute, mit mir gehn,
Wo die ew'gen Blumen stehn? -

Mädchen
Wie von Morgengold umwoben,
Strahlt dein Engelangesicht,
Und ich fühle mich erhoben
Von der Erde finstrem Globen,
Fühl' es, ach! und weine nicht! -
Laß uns, Engelknabe, gehn,
Wo die ew'gen Blumen stehn!
(Band 1, S. 372-374)

Collection: 
1843

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