Es war der Frühling längst herangekommen,
Ich aber lag im Winterschlafe tief,
Und hatte nicht den Jubelruf vernommen,
Der Jeden auferweckte, der da schlief.
Auf schlugen Blumen ihre Farbenaugen,
Die Wiesen thaten sich gar prächtig an,
Und neue Frühlingsstrahlen einzusaugen,
War jedes Herz und Auge aufgethan.
Die Fluten rauschten lispelnd in die Lüfte,
Die Vöglein schlugen hell im Blätterhaus,
Der Himmel sandte seine milden Düfte
Und Nachts die stille Silberheerde aus.
Da freuten rings sich Alle, die da wallten,
Ein Jeder jauchzte, jubelte und sang:
Es war, als ob ein Blühen und Entfalten
Aus Menschenherzen wie aus Knospen drang.
Doch all die holden Zauber, ach, sie trafen
Mich nicht, und ich verstand ihr Wesen kaum,
Mußt' ich doch stets im Winterschlummer schlafen,
Und sah das Schöne alles nur im Traum.
Der Frühling zog als milder Segenüber,
Der süßen Blüthenbalsam niedergießt,
An meinem inneren Gesicht vorüber,
Und hat mich nur im holden Traum begrüßt.
Ich aber schlief; er ging und kehrte wieder,
Und neu begann des Spieles heitre Pracht,
Und sank als schönes Traumbild auf mich nieder,
Doch riß mich's nicht aus meiner Winternacht.
Da kam die Liebe mit den Himmelsklängen,
Worin ein Meer von stiller Wonne fließt,
Und hat mit paradiesischen Gesängen
Mich aus den tiefen Träumen aufgeküßt.
Sie hat den Schlaf vom Auge mir gesungen,
Sie hat den Schmerz vom Herzen mir geko'st,
Sie hat mit Seligkeiten mich durchdrungen,
Mit Hoffnung und mit wunderbarem Trost.
Sie hat mich Alles, Alles kennen lehren:
Den Himmel, der ein Abbild ist von ihr;
Die tiefe Harmonie dort in den Sphären,
Die schöne Wirklichkeit im Lenze hier.
In ihrem Auge, wie in einem Spiegel,
Da sah ich Alles wundervoll und rein,
Die Seele mit dem mächt'gen Himmelsflügel,
Die Welt, das Leben, Schaffen und Gedeihn.
Eh' ich noch durch der Liebe Ruf erwachte,
Da war mein Leben nur ein ew'ger Gram,
Weil ich's im trüben Winterschlaf verbrachte,
Selbst wenn der Frühling in die Fluren kam.
Nun sich die Liebe meiner angenommen,
Ist aufgegangen mir ein Stern der Lust:
Der Frühling mag nun gehen oder kommen,
Für ewig ist es Lenz in meiner Brust.
aus: Gedichte von C. Dräxler-Manfred
Frankfurt am Main 1838
Druck und Verlag von Johann David Sauerländer