Die Kranke

Ein Jüngling noch, an welchem Lust und Leid
Die Zauberkraft mit stetem Wechsel übte,
Geschah es mir, daß ich zur Frühlingszeit
Mich in ein blasses Mädchen ganz verliebte;
Von ihrem Blicke lebt' ich nur, ich hing
Mit sehnsuchtvollem Aug' an ihrem Munde,
Und meiner Wünsche und Gedanken Ring
Umschlang ihr süßes Bild zu jeder Stunde.

Da ward sie krank; - ein trüber Schleier sank,
Aus Schwermuth und aus Leiden dicht gewoben,
Auf jene Glieder, die einst schön und schlank,
Bewußtsein ihrer Herrlichkeit gehoben;
Sie siechte hin, das Auge matt und fahl,
Versank allmählig in der Wimper Höhlung,
Woraus sich manche schwere Thräne stahl,
Gleich eines Herzens eigner letzter Öhlung.

O sie war schön! Der Leiden Marterqual
Verdünnte gleichsam nur des Körpers Grenze,
Damit die Seele mit dem vollen Stral
Der Geisterschönheit leichter ihn durchglänze;
Sie sprach nicht: und doch lag so wunderbar
In ihrem Wesen und in ihrer Demuth
Ein Meer von Worten, jedem Herzen klar,
Ein stilles Evangelium der Wehmuth.

O was ich da empfand, und wie mir ward,
Erschien nun der Berather ihrer Schmerzen!
Wie war der Mann so ernst und kalt und hart,
Als läge blutig Eis in seinem Herzen.
Er sah sie an, er fragte viel und viel,
Dann schwieg er, schrieb und schrieb und dachte wieder,
Und Herr des Himmels, auf das Blättchen fiel
Ihm eine unbewachte Thräne nieder!

O Thräne, die ich nie vergessen kann,
O Tropfen, reich an böser Prophezeihung,
O scheinbar kalter Mann, o armer Mann,
Du ahntest sie, die irdische Befreiung,
Die hier ein größ'rer Arzt vollbringen will,
Und weil der gar so schnell hier eingesprochen,
D'rum ist die Thräne, unbewacht und still,
Aus deinem ernsten Auge wohl gebrochen.

aus: Gedichte von C. Dräxler-Manfred
Frankfurt am Main 1838
Druck und Verlag von Johann David Sauerländer

Collection: 
1838

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