Die Linde

Noch als Jüngling in die Rinde
Schnitt ich einer jungen Linde
Jenen holden Namen, dessen
Ich im Leben nie vergessen.

Ob es wohl der Baum verstand,
Was ich damals tief empfand,
Weil des Harzes Thränen kamen
Perlend aus dem süßen Namen.

Und ein schönes Bild im Herzen,
Hab' ich meiner Liebe Schmerzen
In die Fremde fortgetragen,
Ruh' und Frieden zu erjagen.

Manch ein langes Jahr entschwand,
Bis ich wieder ein mich fand,
Und die Linde, die betagte,
Ueber mein Geheimniß fragte.

Aufgewuchert ganz ensetzlich
Sah ich jenen Namen plötzlich,
Und in ungeheuren Zügen
Rings den weiten Stamm umschmiegen.

Und das Bild in meiner Brust,
Mit dem einst ich flüchten mußt',
Fühlt' ich Armer, gleicherweise
Groß geworden auf der Reise.

aus: Gedichte von C. Dräxler-Manfred
Frankfurt am Main 1838
Druck und Verlag von Johann David Sauerländer

Collection: 
1838

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