Milon und Iris

Idylle
An Herrn Lessing

Milon
Komm, Iris, komm mit mir ins Kühle, komm!
Die Geissblattlaube dort erwartet uns
In grüner Dunkelheit, und streut Geruch.
Die holde Stimme hab' ich lange nicht
Gehört, mit welcher du mir ehedem
Den Himmel öffnetest, und in mein Herz
Ruh und Vergnügen sangst. Die Musen sind
Mir auch anitzt nicht feind, sie lehren mich
Gesänge, die das Chor der Nymphen liebt,
Und die der Wiederhall im Haine singt.
Komm, lass uns singen! Komm, o meine Lust!

Iris
O Milon! wie wird mich dein Lied erfreun,
Das Liebe dich gelehrt und Grazien!
Dein Ton, indem du sprichst, ergötzt mich mehr,
Als wenn im Veilchenthal der Westwind rauscht,
Als wenn der laute Bach durch Bluhmen rinnt:
O! wie vielmehr wird mich dein Lied erfreun!
Komm in die Laube, komm! mir schlägt das Herz.

Sie gingen fröhlich hin, und Milon sang:

Milon
O Wiederhall, der meine Pein erfuhr,
Als Iris spröde war,
Vernimm nun auch mein unaussprechlich Glück,
Und breit' es aus: Sie liebet mich!

Sie liebet mich: wer ist so froh als ich?
Wer ist so schön als sie?
Aurora, die in rosenfarbner Tracht
Vom Himmel sieht, ist nicht so schön.

Iris
Auch du bist schön, auch du erfreust mein Herz!
Die Ros' ist nicht so schön,
Voll Silberthau, die zarte Lilje nicht,
Vom Morgenroth gefärbt, als du!

Milon
Wenn in dem Teich das Bild des Gartens hängt,
Und jedes blühnden Baums,
Um den ein Heer von Schmetterlingen sich
Mit hundertfarb'gen Flügeln jagt.

Denn freu' ich mich; doch wenn im Rosenkranz
Am Ufer Iris geht:
Alsdann seh' ich des Gartens Bildniss nicht:
Dann seh' ich nur ihr Bild und sie.

Iris
Schön ist der Bach, wenn Zephyrs Fittig drauf
Der Bäume Blüthen weht;
Die Silberflut, auf ihre Decke stolz,
Rauscht froh dahin, und hauchet Duft.

Doch schöner ists, wenn sanfter Wind die Flut
Von Milons finsterm Haar
Mit Blüthen und mit goldnen Veilchen schmückt:
Dann fliess', o Bach! ich seh' sein Haar!

Milon
O, welch ein Glück ist treue Liebe! Wenn
Dein sanftes Auge sagt,
Dass du mich liebst, denn seh' ich aufwärts hin,
Zum Sitze der Unsterblichen.

Ich seufze denn, und Thränen fliessen mir
Vom Aug'; ich dank' entzückt
Dem Himmel für mein Glück, und bitte nicht
Um Schätze, nur um Ruh und dich.

O! sey mir stets, was du mir itzo bist,
Mein Reichthum, Glück und Ruhm!
Mit dir ist mir die finstre Wüste schön,
Und, ohne dich, die Welt ein Grab.

Iris
Wenn mir dein Auge sagt, dass du mich liebst,
Dann fühl' ich auch mein Glück;
Geschwinder läuft mein Blut, der Busen wallt,
All meine Sinnen sind Gefühl.

Ich suche dann einsame Gänge, wo
Nichts die Gedanken stört.
Ich seh' dein Bild, und seufze sehnsuchtsvoll,
Und dank' dem Himmel für mein Glück.

Sey mir auch stets, was du mir itzo bist,
Mein Wunsch, mein Trost, mein Ruhm!
Mit dir ist mir die finstre Wüste schön,
Und, ohne dich, die Welt ein Grab. -

Indem sie sangen, schwieg der Wind im Hain,
Der Himmel hörte zu, das Volk der Luft
Lauscht' auf ihr Lied, versteckt in dunkles Laub.
Die kleine Lalage lauscht' auch darauf

Im krausen Schatten vom Gebüsch, und sprang
Hervor, und sprach bewegt: Itzt hab' ich euch
Belauscht! recht sehr belauscht! ihr singet schön!
Sie seufzt', und die Brust empörte sich. -

Was seufzest du? warum bist du bewegt?
Fragt' Iris. Aber sie erröthete
Und seufzt', und wollte nicht gestehn, warum.

Collection: 
1778

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