Memoiren

Bang war das Herz. Mit ahnendem Gemüthe
sah ich ins Land, als mir der Frühling blühte.

Vor jedem Schritte stand als Schicksalswende,
ob morgen in der Schule ich bestände.

Soweit die Rätsel von zehn Jahren reichen,
ward alles da von allem mir zum Zeichen.

Als sie zum erstenmal die Liebe nannten,
löst’ ich die Gleichung mit der Unbekannten.

Erfüllt von Lust war’s, auf die Lust zu warten.
Durch alle Gitter sah ich in den Garten.

Von allen Seiten sah ich in die Stunde:
um ein Geheimnis ging ihr Gang die Runde.

Nachts sitzt ein Ding, das fiebrig mich befühlt,
auf meiner Brust, die sich ins Chaos wühlt.

Was ist es nur, das so mit Zentnerlast
mir alle Sinne gleich zusammenfaßt,

daß ein Geräusch mir ein Gesicht erschließt,
Geschmack und Tastsinn mir zusammenfließt?

Das war die Botschaft aus dem neuen Land;
der Teufel war vom Leben vorgesandt.

Will heute ich, daß ich ein Kind noch sei,
schnell, eh’ ich einschlaf’, ruf’ ich ihn herbei.

Doch aller Ängste heiliges Wunder du —
ich schloß die Hölle mir von innen zu.

Ich schmeckte aller Zweifel Süßigkeit,
ich schuf die Hemmung, wenn das Ziel noch weit.

Daß ich zu ihm mein Leblang nicht gelange,
lud zum Verweilen eine Kletterstange.

Schon vor dem Kuß der Seligkeit entbunden,
hab’ nie zur kahlen Endlichkeit gefunden.

Zu eurem Schein, der nur was ist begreift,
ist nie mein Glück der Scheinbarkeit gereift.

Ihr habt nur, was ihr habt, kurz ist die Weile,
dieweil ich mir die Ewigkeit verteile.

Ihr zehrt von des Geschlechtes Proviant.
Verflucht zum Mannsein, seid ihr gleich entmannt.

Verwesung weist mir eures Samens Spur,
verbraucht im Kreuzzug gegen die Natur.

Entweibtes, das im Schlaf ich schauen mußt’,
ein Zug von Leichen folgte eurer Lust.

Jetzt tönt die Glocke zu dem Hochgericht,
jetzt blitzt ein Blitz aus tragischem Gesicht.

Im Wolterton unendlich ruft von hinnen
die Klage Shakespearischer Königinnen.

Nicht länger zögernd, Zeuge muß ich sein!
Laßt mich durch dieses Tor zum Richter ein,

daß ich für Gottes Absicht mich verbürge
und endlich doch einmal den Teufel würge!

Viel totes Leben drängt sich an der Pforte,
hier wimmern Weiber und hier weinen Worte.

Wer wehrt mir? Weh, wer stellt mir Hindernisse,
Natur zu heilen von dem blutigen Risse?

Da hat es mich und sitzt mir auf der Brust!
Und macht der armen Kindheit mich bewußt,
im Lohn der Last und in dem Leid der Lust.

Collection: 
1920

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