Mailied

Bereite dich, Erde, zu festlicher Feier!
Der Freudenerwecker eilt wieder herbei!
Er schwebt in den Wolken, im rosigen Schleier,
Der Blumenerschaffer, der liebliche Mai!
Aus himmlischem Glanze
Erhob er, beim Tanze
Der Horen, sein Haupt,
Die wallenden Locken
Von duftenden Glocken
Und Mirten umlaubt.

Er athmet: und neues allmächtiges Leben
Durchlodert die Pulse der ganzen Natur!
Er lächelt: und siehe! die Saaten erheben
Sich grüner und schneller aus bräunlicher Flur!
Nun gaukeln die Weste
Um Reiser und Aeste
Im grünenden Hain,
Und laden zu Zweigen,
Die dämmernd sich neigen,
Die Nachtigall ein.

Da kommt sie, die Wonne der Schöpfung, und flötet
Ihr schmelzendes Mailied dem horchenden Baum;
Vom Strale des scheidenden Tages geröthet,
Bewegen die Blätter und Blüthen sich kaum.
So schwiegen die Wälder,
So lauschten die Felder,
Als, klagend und bang,
Der König der Lieder:
"Noch einmal komm wieder,
Eurydice!" sang.

Collection: 
1838

More from Poet

  • Bereite dich, Erde, zu festlicher Feier!
    Der Freudenerwecker eilt wieder herbei!
    Er schwebt in den Wolken, im rosigen Schleier,
    Der Blumenerschaffer, der liebliche Mai!
    Aus himmlischem Glanze
    Erhob er, beim Tanze
    Der...

  • Geröthet von der Sonne letzten Blicken,
    Lag Gottes Welt in stiller Feier da;
    Der Landschaft Reitz goss heiliges Entzücken
    Mir in den Geist, der nie sie schöner sah.

    Der Saaten Grün am sanftgeschwellten Hügel
    War von des Abends...

  • An meinen Vater

    Wenn der Herbst, in feierlicher Wonne,
    Auf dem Fittig leiser Lüfte schwebt,
    Und das Gold der hellen Mittagssonne
    Durch der Bäume lichtre Schatten bebt;
    Wenn, dem Abend ähnlich, kühl und milde
    Er die...

  • Begeistre mich, o Freundin Philomele,
    Durch deiner Lieder tief gefühlten Klang!
    Durch deine Seufzer! Stimm' auch meine Seele
    Zu wehmuthsvoller Zärtlichkeit Gesang!

    Schon floh der Mai, der Schöpfer süsser Lieder;
    Doch scharf und...

  • Früh' in des Lebens Lenz weiht' ich mich deinen Freuden,
    Und lauschte deinem Reitz, du heilige Natur!
    Wie herrlich glänzte da der Schmelz beblümter Heiden!
    Wie lieblich dufteten mir Wald und Wiesenflur!
    Wie fühlt' ich, angeblinkt vom Stral...