Der Herbst

An meinen Vater

Wenn der Herbst, in feierlicher Wonne,
Auf dem Fittig leiser Lüfte schwebt,
Und das Gold der hellen Mittagssonne
Durch der Bäume lichtre Schatten bebt;
Wenn, dem Abend ähnlich, kühl und milde
Er die Welt mit süssem Frieden tränkt,
Und auf saatentlastete Gefilde
Hoffnung neuer Segensfülle senkt:

Dann entflieht vor seines Ernstes Blicken
Zwar des Lenzes heitre Jugendlust:
Aber dennoch flösst auch er Entzücken,
Flösst auch er Begeistrung in die Brust
Ihm, als Genien, zur Seite schweben
Seelenstille, die sich sinnend freut,
Und Erinnrung, die zum Frühlingsleben
Herbstesleben liebevoll erneut.

O wie herrlich stralen nicht die Farben,
Die in ihren Zauberbildern glühn!
Selbst die Rosen, die im Sommer starben,
Sieht sie oft im Herbste schöner blühn.
Und auch sie, vom Himmel uns verliehen,
Jeden Erdenkummer zu zerstreun,
Auch die Hoffnung naht, und Blumen blühen
Rings empor in ihrem holden Schein.

Tröstend zeigt sie uns in jedem Keime,
Der aus weicher Erde sich enthüllt,
In den Knospen halbentlaubter Bäume,
Schon von fern des künftgen Lenzes Bild.
Aber dieser Friede, diese Wonne,
Die den Geist im Herbst so mild' umfliesst,
Dies Gefühl, das jeden Stral der Sonne,
Als den letzten dankbarfroh begrüsst;

Und dies Ahnden, und dies frohe Warten
Auf das Jahr, das einst uns wiederkehrt,
Und nach kurzer Trauer Flur und Garten
In der Jugend Lichte neu verklärt:
Ist das alles nicht ein Bild der Freude,
Der ein unbewölkter Herbst uns weiht,
Wenn, im purpurfarbnen Feierkleide,
Er des Friedens goldne Schale beut?

Ja, das Alter, so des Menschen Leben,
Wie der Herbst des Jahres Leben, schliesst,
Kann den Geist zu Seligkeiten heben,
Wie im Lenze selbst ihm keine spriesst.
Von den steilen, kühn erstiegnen Höhen
Blickt voll Ruh' er in das Thal zurück;
Sieht noch einmal jede Blum' entstehen,
Grüsst noch einmal jedes stille Glück!

Aber lächeln einzig seinen Blicken
Freuden schon genossner Lebenslust?
Stralt nicht auch, mit himmlischem Entzücken,
Ihm die Zukunft Frieden in die Brust,
Ja, die Zukunft, so die düstern Stunden
Banges Grams mit Morgenroth begränzt,
Wird am seligsten erst dann empfunden,
Wenn ihr Licht dem Augen näher glänzt!

Nur aus bleicher Ferne fällt sein Schimmer
Auf den kaum betretnen Pilgerpfad;
Doch er läutert, mehrt und stärkt sich immer,
Wie das Ziel der grossen Hoffnung naht!
So verherrlicht Gottes hoher Segen
Den Bewährten in der Prüfungszeit;
Stralt am hellsten seinen letzten Wegen,
Und verkündet ihm Unsterblichkeit!

Collection: 
1838

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