Lux in tenebris

Zu tiefer Finsternis warst du mein Licht! -
Sie kam zu mir in meiner Einsamkeit,
Des Wahnsinns grauumhüllte Schreckgestalt;
Sie legte mir aufs Haupt die kalte Hand,
So schwer, daß meine Schläfen hämmerten.
Gedanken schwirrten wild mir durch den Kopf
Wie dürre Blätter, die der Herbstwind peitscht.
Im Herzen schwoll die fürchterliche Angst:
"Es naht, das hohlgeäugte Ungetüm,
Um langsam dich mit seinem grauen Netz,
Auf ewig unzerreißbar, zu umspinnen." -
Und plötzlich sank tief unter mir die Welt;
Lautlose Stille war's um mich; ich saß
Auf eines Felsen starrgezacktem Gipfel,
Und über, unter mir ein graues Nichts!

Da sah ich dich zu meinen Füßen knieen,
Und sieh! Aus deinen Augen licht und tief
Ist die Erleuchtung über mich gekommen. -

Durchs Fenster wieder drang der Blüten Duft,
Ein bunter Falter flatterte herein,
Der Sonne Licht vergoldete dein Haupt,
Und weinend zog ich dich an meine Brust:
In tiefer Finsternis warst du mein Licht. -

Collection: 
1902

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