(Für Musik)
Halte nur den Frühlingsdrang
Nicht zurück in deinem Herzen:
Eingeschlossen sind es Schmerzen,
Freigegeben – ein Gesang.
(Rückert)
Notturno
Kennst du das, nachts wenn die Stille singt?
Und plötzlich ein Blick deinen Schlaf bezwingt?
Es schaut dich etwas mit Augen an,
Das doch nicht reden, nicht reden kann.
Das ist ein vergessener Liebestag,
Der in Wehe und Traum gebunden lag;
Irgendein Rosenwehn in der Nacht
Hat ihn zum Wachen und Wandeln gebracht ...
Und die Mitternacht wird so sehnsuchtweit –
Das Mondlicht geht in Strömen breit
In mein Gemach, und trägt das Boot
Unsrer scheuen Liebe ins Morgenrot ...
Rondo
Wie zärtlich sich dein Nacken biegt.
Wie flimmernd dir das Wildhaar fliegt!
Dein Auge siegt!
Und wie dein Mund mich singend rief,
Als ich in meinen Tränen tief
Und gnadlos schlief:
"Tritt aus dem Traum, der dich umspannt!
Sieh hin, das weite Herbstesland
Ist bunt entbrannt ...
So bunt, so bunt von totem Laub!
Ein trotzig Lodern, eh der Staub
Es nimmt zum Raub.
Mein Blut ist jung, die Stunde lacht –
Vielleicht, vielleicht kommt über Nacht
Das Sterben sacht.
»Und sind auch alle Blüten tot,
Schau nur, wie in Korallen rot
Die Esche loht!
Die Beeren reih ich dir zum Kranz,
Du wirst von ihrem Feuerglanz
Umronnen ganz.
Und wieder lachen lernt dein Herz,
Die Ketten brech ich altem Schmerz
Mit jungem Scherz.
Denn starke Lust ist wie ein Held:
Den Grimmen, der die Sichel hält.
Jagt sie ins Feld.
Zu Gipfeln führt sie uns hindann,
Das Lachen klingt wie Glocken an –
Frei ist die Bahn!" ...
Appassionato
Ein Tausturm fährt auf grauem Roß,
Auf Fahlgewölk ins Tal herab;
Die Schatten wachsen ängstig groß,
Als rief sie wer aus einem Grab.
Ich hör der Ströme wilden Gang
Durchrasen diese Märzennacht,
Das Eis zerbricht so laut und bang
Mit einem Ton, der schluchzt und lacht –
Hei, wie der Föhn den Frühling ruft!
In Ungestüm und Liebeskampf
Durchbricht er die verschneite Kluft –
Es donnert rings wie Roßgestampf ...
Gen Morgen wird er still und weich –
Er hat den Herrlichen ersiegt,
Der, noch die Stirne blumenbleich.
Im ersten Traum am Hügel liegt. –
– – – – – – – – – – – – –
Und mich gemahnt das Liebesspiel
An eine Stunde, wild und fern,
Da ich in süßem Kampfe fiel,
Nach Sturmesnacht beim Morgenstern ...
– – – – – – – – – – – – –
Intermezzo lirico
Ihm leuchtet von der Stirne Jugendkraft,
Und aus den Blicken lohte die Leidenschaft –
Mit blitzenden Zähnen hat er dem Tag gelacht,
Und er liebte die süßen Rätsel der Mitternacht –
Wie das schaffende Leben, das in Kronen geht,
So war er in seiner jungen Majestät –
Wie die Liebe selbst, die nichts als liebt und lebt,
Und in sel'gem Verweilen nicht über die Stunde strebt ...
Und da fand er im Wandern die seltsame, zage Frau,
Sie blickte voll fragender Wünsche zur Sternenau;
Es war, als ob sie scheu am Lebensrand schritt,
Und neben ihr gingen Schatten der Wehmut mit ...
Und grade die Blasse, Süße traf seine Glut –
Von seinem Feuer warf er ihr Flammen ins Blut;
Er riß sie vom Träumepfad ins Leben hin,
Da trat die Sonne in ihren dämmernden Sinn ...
Er bot ihr sein ganzes lachendes Ich zum Tausch –
Die Stunden wurden ein feiner Lebensrausch –
Und dennoch sah sie harrend über die Zeit,
In die wunderverheißende, alte Einsamkeit –
Vielleicht weil sie selbst die Sehnsucht gewesen ist –
Die rastet bei lachender Liebe nur kurze Frist:
Eine reife Sommerzeit, eine Nacht im Mai,
Dann wandelt sie tränenlächelnd der Liebe vorbei ...
Allegro
Es sind die frohen Wiesen hier
Mit Blütenbüschen licht beflaggt –
In allen Zweigen über mir
Schlägt sacht der Frühlingswind den Takt –
Das Land ist duftend aufgetan,
Die Körner fallen golden – dicht;
Ein Sämann wandert seine Bahn,
Und hinter ihm das große Licht ...
Das wirft mir Kronen in den Schoß
Und hängt mir goldnen Reif ins Haar,
Und bietet mir so königsgroß
Demanten und Rubinen dar ...
Die Glockenblumen sind am Weg
Ein Bett von amethystnem Glanz,
Und jedes Reis am Heckensteg
Biegt sich zu einem Jugendkranz ...
Es lacht im Wind; es wandert wer –
Sein Schritt ist Tanz, – aus dem Gewand
Schlehblüten streut er auf mich her,
Ein Dörnlein fährt mir in die Hand –
Und jener springt mit Jubelschrei
Empor in rascher Jugendglut,
Und bricht die Hecke wild entzwei,
Und küßt von meiner Hand das Blut –
"Nun bist du Scheue, Stolze mein:
Der Tropfen, der im Herzensgrund
Noch eben rann für dich allein,
Den trink ich nun mit meinem Mund.
Such nicht das Paradies so fern:
Das tut uns ja der Lenzwald auf!
Und von den Wiesen, Stern an Stern,
Ein ganzer Himmel grüßt herauf ..."
Ich spring empor – und unser Schritt
Geht weit ins Sel'ge, ohne Ziel –
Das heil'ge Lachen wandert mit –
– Da stehen Zeit und Sehnsucht still ...
Maestoso
In großem Takte meistert der Sturm die Nacht;
Der tiefsten Stunde Schweigen zerbricht er stark –
Die Leidenschaften rufen bange –
Weißt du die Lieder der Luft zu deuten? –
Er fängt das Rauschen brüllender Meere auf,
Der Wälder Zürnen, krächzender Raben Ruf,
Der Frühlingsgärten Weheklagen:
Zitternde Töne, wenn Blüten sinken ...
Er nimmt das Seufzen sterbender Lippen hin,
Und unterm Eise ringender Ströme Not,
Und schwere Lüfte, die vergessen
Tief in den Felsen und Klüften liegen –
Die Klagen aller, welche in Ketten gehn,
Den Aufschrei derer, welche die Seligkeit
Für eine Stunde fassen durften,
Wahrend der Schmerz an den Toren harrte ...
Des Bechers Klirren, der vor der Lippe sprang,
Wenn durstge Liebe Jugend und Leidenschaft
Im Lebensweine Kühlung suchten,
Zitternde Seelen den Rausch begehrten.
In Mitternächten reißt du das Weh der Welt
Aus tausend Tönen, zarten und gräßlichen,
In deine Rhythmen allgewaltig,
Sturm, – und die horchenden Herzen schauern ...
Und plötzlich wissen alle, die schlaf erwacht:
So singt das Schicksal ewig das graue Lied,
Und webt der Freuden karge Töne
In die gewaltgen Lebensschmerzen ...
Presto
Brich aus tiefen Gärten drunten,
Wo der Flieder silbern scheint,
Von den jungen Wiesen unten,
Wo die Quelle zärtlich weint,
Brich aus diesem stolzen Lenze,
Unsern Nächten ihre Kränze.
Streue uns von jungen Schlehen,
Und von Veilchen Knospen hin!
Denn du sollst auf Blüten gehen
Und auf weißen Blättern knien,
Weil du aus den Morgenweiten
Herbringst reine Seligkeiten.
Hebe mir die Demantschalen
Mit der seltnen Leidenschaft,
Die mit heißen, lautern Strahlen
Brennt aus deiner Jugendkraft,
An die Lippen, die sich sehnen
Nach dem Trank, der sonder Tränen.
Das sind Feuer ohne Sünde,
Das sind Tropfen ohne Gift ...
Schweiftest du durch Himmelsgründe
Oder Paradiesestrift,
Daß du schöpftest volle Schalen
Sonder Reue, sonder Qualen?
Brich aus tiefen Gärten drunten,
Wo der Flieder silbern scheint,
Von den jungen Wiesen unten,
Wo die Quelle zärtlich weint,
Brich aus diesem stolzen Lenze
Unsern Nächten ihre Kränze ...
aus: Alberta von Puttkamer – Jenseit des Lärms. Dichtungen
Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig, 1904