An Iduna

Aus der Entfernung

Der Sehnsucht Fittig hebet
In meinem Busen sich,
Und meine Seele schwebet
Mit leisem Flug um dich.
Allmächtig fortgezogen
Vertausch' ich meinen Ort,
Und wie auf Zauberwogen
Führt mich die Liebe fort.

Ich seh am kleinen Tische
Dein Werk dich freundlich thun,
Und im Jasmingebüsche
Der Gartenlaube ruh'n;
Ich nahe freudetrunken,
Und, sanft an deine Brust,
In deinen Arm gesunken,
Empfind' ich Götterlust.

Wir gehen durch die Erlen
Der buntbelaubten Au,
Wenn Gras und Saaten perlen
Vom frischen Morgenthau.
Bey linder Weste Wehen
Geh'n wir durchs Wiesenthal,
Und auf die Tannenhöhen,
Im Abendsonnenstrahl.

Im dunkeln Lindengange
Ruh'n wir am Murmelbach,
Und keiner Lästrung Schlange
Schleicht meiner Freude nach,
Wenn hold und allvermögend
Auf mich dein Auge sieht;
Und rings die ganze Gegend
Durch dich verschönert blüht.

Den Nachtigallen lauschend
Mit liebevollem Sinn,
Und Herz und Seele tauschend,
Flieht schnell die Zeit uns hin,
Bis leis herabgeflogen
Nach Haus uns ruft die Nacht,
Und an dem Himmelsbogen
Das Sternenheer erwacht.

Doch wehe mir, es schwindet
Das süße Traumgesicht;
Mein Auge sucht und findet,
Mein Arm erreicht dich nicht.
Dich trennen ferne Hügel,
Und fern ist noch mein Glück.
Gib deiner Liebe Flügel,
Und kehre bald zurück.

Aus: Gedichte von Christian Ludwig Neuffer
Stuttgart bei J. F. Steinkopf 1805

Collection: 
1829

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