1.
Da draußen in der Welt sind nun die Tage
Der sonnenleeren Öde angebrochen;
Waldüber kommt des Raben Weheklage,
Wie der Vernichtung Stimme, die gesprochen.
Und Ströme, aufgewühlt von Regengüssen,
Rasen wie Adern, die im Fieber pochen ...
In Taumel des Verderbens hingerissen,
(Der Sturm ruft aus den Wolken auf zum Tanz)
Erbebt der Wald in Nebeldämmernissen.
Auf höchsten Wipfeln, ein Bacchantenkranz,
So zittern letzte Blätter goldenrot,
- Der armen Zeit verblichner Kronenglanz ...
Die Hecken grinsen starr und dornbedroht;
Kein Duft läßt ihre Stachel nun vergessen,
Kein rotes Blühen, das wie Funken loht.
Längst sind die Gärten drunten tot: indessen
Der Reif wie Silbersternenblumen fällt,
Und irrgeflogne Kräh'n den Raum durchmessen,
Der sternenlos umspannt die Schattenwelt.
2.
Es schläft die Stadt - die Regentropfen rinnen
Am Dachfirst nieder in verträumtem Takt,
Die feine Melodie zu meinem Sinnen.
Die Aeste, die ins Fenster ragen nackt,
Die zeichnen sich wie große Hieroglyphen
Ins Himmelnachtgrau, rätselhaft gezackt.
Und ich bin so allein ... Aus Herzgrundtiefen
Stehn Wunsch und scheue Sehnsucht wandelnd auf,
Die ungeweckt von Leidenschaft noch schliefen.
Die Heil'ge rief sie nun ins Licht herauf,
Und gibt den beiden ihre Flügelkraft,
Und deutet ihnen Ziel und Siegeslauf ...
Und also fliegt mein Herz aus seiner Haft,
Zerbricht die Ketten, die der Zwang ihm bindet,
Und es beginnt die sel'ge Wanderschaft
Und wie die Stege der Nachtwandler findet,
Hart an den dämmerweiten Abgrundtiefen,
Wenn sein Gestirn die Sehnsuchtsfackel zündet,
So find' ich dich, als ob mich Himmel riefen ...
3.
Du mußt nicht glauben, du mein süßes Leben,
Weil ich so sternenweit ins Hohe dringe,
Weil mir so seltne Liebesmacht gegeben,
Daß ich verzückt nur noch in Wolken ginge,
Und fremd geworden sei der goldnen Erde,
In Lebenslust nicht faßte alle Dinge.
Wohl geh' ich abseits von der großen Herde,
Die in der schlichten Form den Gott mißkennt,
Und das Gemeine preist mit Narr'ngebärde.
Weltseele heißt mein flammend Element;
Ihr Inhalt ist unendlich, unbeschlossen;
Sie ist's, die in der großen Sonne brennt,
In Vielgestalt sich in das All ergossen,
Die feinste Faser noch mit Säften füllt,
Im Kleinsten webt, und im unmeßbar Großen,
Als Kraft im Sturme und im Weltmeer brüllt,
Die Adern aller Schönheit sanft durchrinnt,
Sich nie in der Entsagung Fetzen hüllt,
Die in den Sternen ihren Kreis beginnt
Und liebt, und ringt und schöpft, und nie wird alt,
In heil'ger Leidenschaft die Erd' umspinnt,
Und die in uns ward Einheit und Gestalt ...
4.
So möcht' ich alles Himmlische durchmessen,
Und alles Erdensüße dieser Liebe,
Und kein Geheimnis ihres Seins vergessen.
Daß mir verschleiert nichts mehr in dir bliebe,
Kein Glück, kein Irrtum, keiner Wunde Leid,
Kein zartester und größter deiner Triebe.
Und siehst du, Liebster, unsre Erdenzeit,
Würd' ich mit solchem Ueberreichtum füllen
Kein Himmel wär' für seine Wonnen weit!
Und ob der Inhalt wechselt in den Hüllen,
Ob Arbeit, ob Genuß, ob Kampf er heißt,
Im Ueberschwang des Glücks, in Traumesstillen
Entwirkte sich derselbe Göttergeist.
Ich wäre toll und weise, fromm und wild,
Wie mir der Stunde Gunst den Weg verheißt!
Bald streiften wir durch goldnes Lenzgefild,
Auf schlankem Roß durchbrächen wir die Hecken,
Du jagtest mir voran, ein Heldenbild.
Dem Wind nach, uns mit Knospenzweigen necken,
Vom Sattel springen, blaue Falter jagen,
Und hinter jungen Schlehen uns verstecken!
Und würden dann in ersten Sommertagen
Durch reife, mohngestickte Felder gehen,
Und uns gar lebensernste Dinge sagen.
Mit großen Augen ins Zukünft'ge spähen,
Und aus Folianten milde Weisheit schlürfen,
In Wettern jauchzend bei einander stehen;
Und wenn uns Donnerschläge niederwürfen,
Und unter uns erzitterte die Scholle,
Dann ruhig Herz an Herzen atmen dürfen,
Uns küssen mitten im Gewittergrolle,
Um alles, was uns beiden ward gegeben,
Das Allerletzte, Tiefgeheimnisvolle.
Den Gott und Menschen in uns auszuleben!
5.
Wir wollen nichts und nichts dem Schicksal schenken!
Das Zittern und das Schauern keines Blickes,
Nicht ein glückselig-scheues Wimpersenken,
Und kein demütig Beugen des Genickes,
Das sich mit Jubel solcher Fessel neigt,
Und keinen Wink des wanderschnellen Glückes;
Und keine Stunde, die sich lachend zeigt,
Und die, in Armen der Verborgenheit
Uns bebend hält, und Wonnen gibt, - und schweigt ...
Und keines Kusses scheue Seligkeit,
Und keinen Seufzer, keines Anschau'ns Tiefe,
Keiner Umarmung letzte Trunkenheit.
Keinen Gedanken, der verschleiert schliefe,
Und keine Wonne, die das Blut durchkreist,
Und kein Gefühl, das nach Befreiung riefe ...
Nichts, was uns Eins zum Andern wirbelnd reißt,
Und nichts von jenem süßesten Versenken,
Das Liebe, Leidenschaft, Anbetung heißt,
Wir wollen nichts und nichts dem Schicksal schenken! ...
aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894