Dreizehn Lieder

1.
Zu Venedig im Pallaste,
Wo die Dogenbilder hängen,
Zeigt man auch ein Bild dem Gaste,
Von Gestalten welch' ein Drängen:

Myriaden sel'ger Geister,
Die der Himmel hell umstrahlet,
Hat Venedigs frommer Meister
Auf des Saales Wand gemalet.

Unter ihnen glänzt vor Allen
Schön das Bildniß eines Weibes,
Helle Glorien umwallen
Weiße Wellen ihres Leibes.

Und versunken in die Milde,
Mit des Lichts, der Schönheit Krone -
Mahnt zu einem andern Bilde
Eilgewohnt der Cicerone:

Gräßliche Gestalten wimmeln,
Thier und Menschenleib zusammen,
Die Gestürzten aus den Himmeln
Brennen hier in Höllenflammen.

Und auch hier das wunderbare,
Schöne Weib an diesem Platze?
Teufel zerren es am Haare,
Mit der wilden Krallentatze!

Und der Welsche lächelt pfiffig:
"Ja, Signor! ihr müßt nicht staunen,
Weiber sind gar fein und kniffig,
Haben wie die Wellen Launen.

Ewig liebte sie den Meister,
Als er schuf die Himmelsscenen -
Als er schuf die Höllengeister,
Zog zu Andrem schon ihr Sehnen.

Nun, Signor! ihr wißt, wie schrecklich
Eifersucht und Liebe stechen,
Und fürwahr so wußt' erklecklich
Tintoretto sich zu rächen!"

Lächeln mußt' ich zu dem Scherze,
Und ich ahnte nicht zur Stunde,
Daß ich bald von gleichem Schmerze,
Bluten würd' aus gleicher Wunde.

Die ihr leset meiner Lieder,
Daß ihr Staunen nicht empfindet,
Wenn ihr die als Teufel wieder,
Die ich pries zum Himmel, findet.

2.
Kranke giebt es, die von Rosen
Noch voll Lebenshoffnung träumen,
Wenn sie am erbarmungslosen
Abgrund schon des Todes säumen.

Kranke Schiffer sehn im Sterben
Oft auf weitem Oceane
Sich die Wellen grünlich färben -
Frische, helle Wiesenplane.

Von den Rosen deiner Wange
Träumt ich fern in Sehnsuchtsschmerzen,
Als ich schon dem Untergange
Nahe war in deinem Herzen!

Helles Grün der Hoffnung grüßte
Mich gar freundlich, als ich eben,
Schiffend auf der Meereswüste,
Dich verlor, mein süßes Leben.

3.
Des Lebens Schmerzen viele kamen
Schon gastlich zu dem Busen hier,
Als fromme Gastgeschenke nahmen
Des Herzens Frieden sie von mir.

Bei einem Armen eingekehret
Bist gastlich du, o neuer Schmerz;
Weil aller Gaben er entbehret,
Nimmst du den Gastfreund selbst: das Herz.

4.
Das Herz ist krank, der Geist verstört,
Das Leben wie durchschnitten,
Noch nie gefühlt, noch nie erhört,
In einer Nacht erlitten.

Dir ist sie todt, die einst so heiß,
So selig dich umschlungen -
Was scheinst du, Mond, so leichenweiß
In meine Dämmerungen?

Zum Spiegel fällt mein Blick hinein -
Wie kann es so geschehen,
Im Antlitz ist von dieser Pein
Noch keine Spur zu sehen?

Die Freude fliegt aus unsrer Brust
Empor zum Angesichte,
Verkündend tiefe Sonnenlust
Mit morgenrothem Lichte.

Wie schleicht das todeswehe Leid
Auf seinem bittern Gange,
Und ist es, Schmerz! denn gar so weit
Vom Herzen bis zur Wange?

5.
So hab' ich auch den Schmerz erfahren,
Wenn Lieb' uns stirbt und untergeht,
Die angewohnt seit manchen Jahren
Als Lebensodem uns umweht;

Erfahren, was die Seele leidet,
Wenn plötzlich die geliebte Hand
Durch tausend, tausend Fäden schneidet,
Durch die sich Herz und Herz verband;

Erfahren, so allein zu stehen
In weiter, dumpfer Welt allein -
Und wie den Herzen ist geschehen,
Die ich schon traf mit gleicher Pein.

6.
Ich kann, ich kann es noch nicht fassen,
Es blitzt ein scharfer Dolch mir zu:
Du hast vermocht mich zu verlassen,
Du hast's vermocht? Du Mädchen? Du?

Vom Netze der Erinnerungen
Ringt also leicht sich los dein Geist?
Mich hält es todesfest umschlungen,
Was deine Hand so leicht zerreißt.

Mich hält es fest und Wort und Küsse
Und süßen Taumels Raserei,
Im Lauf zurückgewandte Flüsse
Zieh'n wieder jetzt an mir vorbei.

Und sel'ge Blicke, Liebeszeichen,
Besitz und Furcht doch vor Verlust,
Sie ziehn an mir vorbei als Zeichen,
Ach wie so theuer einst der Brust.

Am Strande sitz' ich nun und suche
Heranzuzieh'n das letzte Glück -
Und geb' es fromm dem Leichentuche,
Dem Nichts, der ew'gen Nacht zurück.

Und schreibe hier mit schwarzen Lettern
Auf weiße Blätter Sprüche ein,
Und jedes dann von diesen Blättern
Winkt dir ein banger Leichenstein.

O flieh' vor diesem Friedhofgrunde -
Vergaßest du des Dichters Macht?
Weh dir, wenn um die Geisterstunde
Dein Kuß, dein Blick, dein Schwur erwacht!

7.
Wie wogst du, Herz, mit wilder Gewalt,
Was soll dein Pochen und Schlagen?
Ich sehe der Liebe Leiche kalt
Von des Blutes Wellen getragen.

Des Schmerzes kalter Sturmesbraus
Empört sie mit wildem Streiche;
Mach's wie das Meer: an den Strand hinaus,
Zum Strande mit der Leiche!

8.
Ich war die Wolke, du der Strahl,
Ich glänzte hell in deinem Schimmer,
Seit er sich treulos von ihr stahl,
Zeigt sie des Friedens Bogen nimmer.

9.
(In der Christnacht)
Wie weit hinaus die Landschaft flimmert,
In Schnee gehüllt ist alles Feld,
Aus finstrem Blau der Vollmond schimmert
Herunter auf die stumme Welt.

Nur in den Lüften braust zuweilen
Der heimathlose Sturm allein,
Der Sturm und ich, wir beide theilen
Und kennen wohl dieselbe Pein:

Wir sind allein im weiten Raume,
Bewegt von wilder Schmerzensmacht,
Kein Lichtlein glänzt an grünem Baume
Entgegen uns in dieser Nacht.

Und ist der Heiland nicht geboren,
Der Schmerzerlösend, liebend kam -
Wie wären wir so liebverloren?
Wie käme jetzt zu mir der Gram?

Sie
"Du bist nicht einsam, meine Träume
Und meine Seele war bei dir,
Dir folgt sie zitternd durch die Räume,
Du aber grollend sieh'st vor mir."

"Wenn Flämmchen die Gefühle wären,
Zu freud'gem Schrecken sähest du:
Sich deinen Lebensbaum verklären,
Viel tausend Lichtlein glüh'n im Nu!"

Ich
Auf Sturm! sei lustig - uns auch zünden
Sich plötzlich helle Flämmchen an -
Der Irrwisch aus den moor'gen Gründen
Schlingt dort sich einen Baum hinan.

10.
Das Leben schlug mir Wunden zwanzigfach -
Wie Cäsar sank in edler Ruh
Den Mantel faltend, fragt mein leises Ach,
Bei deinem, deinem Streich: "Auch du?"

11.
"Ich wollt', es wäre Schlafenszeit
Und Alles schon vorüber."
Schiller's Wallenstein

O Schlaf, trauvoller Tod!
Ich möchte mich an deinen Busen schmiegen,
In deinem Zauberboot
Aus diesem Ocean des Kummers fliegen!

Du kamst, da ich beglückt,
Ein stiller Schmeichler zu der Lagerstelle,
Und hast mir halb entrückt
Das süße Glück, des Geistes muntre Helle.

Weil glücklos, freudenarm,
Fliehst du nach Schmeichlerart jetzt meine Nähe,
Nun foltert mich der Harm
Ununterbrochen, ungetheilt das Wehe.

O Tod, traumloser Schlaf!
So komme du und falte mir die Hände -
Was mich so bitter traf,
Tiefinnerst macht's mich sehnen nach dem Ende!

12.
Wie stolz der Strom an seinem Strande
Hinzieht den hellen Pfad,
Ihn kümmert nicht, daß fern vom Lande
Der Frost ihm schleichend naht.

Sein Busen hebt sich kühn in Wellen,
Lebendig wogt er fort,
An seiner Fülle muß zerschellen
Der eis'ge Schleicher dort.

In stolzer Sicherheit verloren,
Verrathes unbedacht,
Hat fest das Herz es zugefroren
Dem Strome über Nacht.

13.
Es muß das scharf geschliffne Erz
Zerreißen erst der Erde Herz,

Daß es den künft'gen Lenz empfange
Und dann mit Saat und Blumen prange.

Und Niemand fragt beim Blüthenwehen,
Wie mit dem Pflug ihm arg geschehen.

O welche Lenz- und Blumenlust
Drängt duftend aus des Dichters Brust;

Wie mocht' es sie gar scharf zerspalten,
Um solche Ernte zu entfalten.

Wohl wühlten Kummer und Beschwerde
Durch seines Herzens rothe Erde;

Wo sich des Grames Pflug bewegt,
Die Nachtigall aus Blumen schlägt.

aus: Gedichte von Ludwig August Frankl
Leipzig F. A. Brockhaus 1840

Collection: 
1880

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