Doch wenn du glaubst, du nahmst mir alles

Doch wenn du glaubst, du nahmst mir alles,
Als du mir deine Liebe nahmst, dann, Weib,
Bist du im Irrtum. Nein, es giebt noch Schön'res
Als einen schönen Mädchenleib.

Vor mir geschaut und ganz von mir verstanden,
Schwebt ob der Menschheit eine Lichtgestalt,
Sie bindet ihren Jünger fest mit Banden,
Sie hält ihn ganz in leuchtender Gewalt.

Und läßt dein Anblick selig mich erzittern
Und die Berührung deines Körpers mich erglühn,
Ach, nach der Wonne heiligen Feierstunden
Stets Wolken über Menschenliebes Himmel ziehn.

Doch sie entfacht ein stetig glimmend' Feuer
Dem Wesen, dem sie schenkte ihre Gunst.
Nun nenn' ich dir das Ideal, das ewig teuer
Mir bleiben wird. Es ist die Kunst.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970

Collection: 
1967

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