Die Wandlungen

(nach D'Annunzios della Morte)
"strumento di piacere e di volutta"

I.
Nah dem Gotte meiner Kinderzeit
ist der Liebe Tag mir angebrochen,
denn der Herr, der längst mir fremd geworden,
und von dem ich nun so weit,
hat an jenem Tag in den Akkorden
einer Messe Bachs zu mir gesprochen
und der Geist, den ich schon nicht mehr glaubte,
strich noch einmal leis ob meinem Haupte.
Die Kapelle war voll sanftem Licht
und als ich, noch traum- und tonbefangen
aufsah, war vor meinem aufgegangen
dein hingebend ernstes Angesicht:

II.
Durchscheinendes Madonnenantlitz, welches
nicht einen Tropfen Blut zu bergen schien,
und auferstanden wie aus Särgen schien,
weißer als Weiße eines Blütenkelches,

Mysterium warst du mir und Offenbarung,
Martyrium und trunkne Siegeskrönung
wie jeden Traumes strahlende Verschönung,
und jeden Wachens höchste Lichterfahrung.

III.
Wir lieben uns schon lang.
Schon zweier Jahre Runde.
Da fällt mir plötzlich ein:

Wie wird wohl, frag ich bang,
wie wird die Sterbestunde
von unsrer Liebe sein?

IV.
Damals:
Ich fühlte meinen Kuß in Dir verklingen,
wo ihm kein Echo Antwort rief,
ich wußte, daß du tief
gleichgültig warst dem glühendsten Umschlingen.

Dann kam ein Tag: Ich fühlt in deinem Sein
ein Etwas plötzlich meiner Glut erwarmen,
und, wie Pygmalion, aus meinen Armen
mein Leben strömen in das Bild von Stein.

V.
Denn du warst Stein, bevor ich dich umschloß.
Liebe war dir: Gewähren ohne Sinn,
und ich erst riß dein Blut, das träge floß,
zu einem reigenraschen Rhythmus hin.

Ich gab erst deinen herben Lippen ein
ihr Küssen, ihrer Liebeslaute Losung.
Ich lehrte deine Hände erst Liebkosung.
Denn eh ich dich umschlossen warst du - Stein!

Und was dir jetzt in deinen Adern brennt,
das Blut ist mein! Ich habe dirs gegeben.
Denn du warst tot: Ich weckte dich zum Leben,
du meiner Wohllust köstlich Instrument.

VI.
Und jeder deren, welche gehn und kommen,
der im Vorübergehn
auch nur mit einem Blick dich angesehn,
hat dir - und damit mir - etwas genommen.

Denn ein Gefühl - ob klar, ob unbewußt -
kam doch in dir dem fremden Wunsch entgegen,
der dich betastete. Vielleicht das Regen,
die Ahnung einer nie gekannten Lust?

Oder Erinnerung an eine ferne
aus einem längstvergangnen Jahr,
da ich noch nicht an deiner Seite war? -
Oh Qual des Grübelns, das ich nicht verlerne!

VII.
Ich rühre deine Stirn und kann nicht wissen,
wie der Gedanke, der dahinter geht,
ich deut nicht, was in deinen Augen steht
und ahn' nicht, was du fühlst bei meinen Küssen.

Ja, selbst die Worte, die wir beide sprechen,
bergen uns gleichen Sinn die gleichen Klänge?
Ich wollt, ich könnte deine Form zerbrechen,
daß meine Seele zu der deinen dränge.

VIII.
Ich liebe dich am meisten, wenn das Leid
den Alltag dir aus deinen Zügen löscht.
Denn deine Träne wäscht
aus meinem Herzen alle Bitterkeit.

Dann bist du mir so lieb und so geweiht.
Mir ist, als ob ich es dir danken soll,
daß mich dein Schmerz von meinem Groll,
vom Hasse wider dich befreit!

IX.
Du fragst mich, was mir fehle?
Ich hab dich lieb!
Vergib,
daß ich uns beide quäle!
Gib
gib Ruhe meiner Seele
und laß
in tiefster Ruh vergessen mich mein Leid;
Liebe ist Haß -
Wohllust ist Grausamkeit.

X.
Wenn du in Leidenschaft dich mir vereinst,
du mein Geschöpf, das doch so tief mir fremd,
und dann im Hochzeits- wie im Sterbehemd
vor mir erscheinst,
seh ich in deinen schlafentrückten Zügen,
die wie im letzten, bleichen Schlummer liegen,
dein Bild von einst:
durchscheinendes Madonnenantlitz, welches
nicht einen Tropfen Blut zu bergen schien,
und auferstanden wie aus Särgen schien,
weißer als Weiße eines Blumenkelches!

XI.
Oft ist dein Angesicht nur Seele und
Ewiges liegt auf deiner Stirne Neigen.
Du bist ein Teil der Nacht, die dich umgibt.
Dein Mund
ein Teil von ihrem Schweigen.
Was groß in mir - hab ich in dir geliebt.
So lang du lebst, behältst du das zu eigen.

XII.
Du meiner Wohllust köstlich Instrument!
Ich hab mit neuen Saiten dich bespannt,
ich stimmte dich genau zu meinem Leben.
Ich habe Melodien Dir gegeben,
die keiner kennt,
voll Süße und Gewalt!
An wessen Brust wirst du nach meiner leben?
Und wessen Hand
wird über dir den Bogen heben,
wenn meine kalt?

*
Von einem Minnesänger wird gesprochen,
der sterbend seine Harfe hat zerbrochen.
Kein Stümper sollte Töne auf ihr hudeln,
die voller Sang, den seine Brust gehegt:
So mußt, Ippolita, du mit mir sterben!
Denn keiner soll in dir mein Bild verderben
und niemand darf die Liebe mir besudeln,
die ich in dich gelegt!

Collection: 
1978

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    2.
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