Die Liebe

Muse, von des Pindus Höhen,
Wo die Dichtung sinnend ruht,
Lass in meine Seele wehen
Der Begeistrung heil'ge Gluth!
Zeig' in hohen Seherträumen
Jene allmachtvolle Hand,
Die in allen Weltenräumen
Leben schuf und Eintracht band.

Tief im Abgrund, leer und grauend,
Rollten Ewigkeiten hin.
Einsam, nur sich selbst beschauend,
Wohnte Gott im Urbeginn,
Bis aus seinem Glanz und Wesen
Wunderbar die Liebe ging,
Und, zur Schöpferinn erlesen,
Preis und Macht von ihm empfing.

Denn mit Jugendkraft verlassen
Hatte sie den Vater kaum,
Sieh, da regten sich die Massen
Schon im leblos finstern Raum.
Auf die öde Tiefe schwebte
Allbefruchtend sie hinab,
Und durch ihren Hauch belebte
Sich das ungeheure Grab.

Zwar in ungemess'nen Weiten,
Wo das Chaos harrend schwieg,
Schlug sich erst nach allen Seiten
Roher Kräfte wilder Krieg;
Doch sobald der Zwist geschlichtet
Durch ihr stilles Wirken war,
Stellte, göttlich aufgerichtet,
Schönheit sich und Ordnung dar.

Denn die Elemente theilten
Ihre strengbegrenzte Macht.
Durch des Lichtes Strahl enteilten
Alle Grau'n der alten Nacht.
Seine stolze Fluth bewegte
Frei und Fessellos das Meer.
Um den schweren Erdkreis legte
Sich die Luft zerfliessend her.

In des Himmels tiefsten Fernen
Zündeten sich Sonnen an,
Und ein Heer von Folgesternen
Flocht um sie die Strahlenbahn.
Wie sie rollen und entgleiten,
Ordnungsvoll doch wandelbar,
Kommen und vergehn die Zeiten,
Bildet sich der Tag, das Jahr.

Aber in die Sonnenkreise,
Die der Zwang bewegt und hält,
Schuf die Göttinn mild und weise
Eine freie Geisterwelt,
Wo sie, ewig, unvergänglich,
Sich dem innern Sinn enthüllt,
Und den Treuen überschwenglich
Jeden frommen Dienst vergilt.

Wo, verhöhnend jede Schranke,
Eignen Weg der Wille geht,
Und der waltende Gedanke
Auf umstrahlter Höhe steht,
Wo mit jedem Lustgefühle
Freundlich der Begriff sich paart,
Und zu einem höhern Ziele
Jede Kraft sich übt und spart.

Wo das Herz ihr huld'gend schläget,
Voll von ihrer Sympathie;
Wo der Geist erkennt und wäget
Ihrer Welten Harmonie;
Wo vor ihren Wundern trunken
Die Betrachtung sinnt und schweigt,
Und in Andacht hingesunken
Sich vor ihrer Grösse beugt;

Wo nach ihrem Strahlenmeere
Nie gestillte Sehnsucht schaut;
Wo die Ehrfurcht Hochaltäre,
Und der Dank ihr Tempel baut;
Wo in himmlischen Naturen
Tausendfach sie sich verjüngt,
Und auf überirdschen Fluren
Ihres Ruhmes Preis erklingt.

Aber auch den Kreis der Erde
Hat sie sich zum Lob erwählt,
Dass der Mensch entsteh' und werde,
Ihren Hauch dem Staub vermählt,
Hat nach einem Götterbilde
Hoch und hehr den Mann erbaut,
Und die reichen Erdgefilde
Seiner Herrschaft anvertraut.

Doch sich selber darzustellen
Schuf sie freudenvoll das Weib,
Und der Schönheit sanfte Wellen
Flossen um den zarten Leib;
Ihre Hoheit, ihre Milde,
Ihren reinen Himmelssinn
Gab sie mit dem eignen Bilde
Der geliebten Tochter hin.

Und dem wonnevollen Gatten
Brachte sie das theure Pfand;
Unter stillen Myrtenschatten
Knüpfte sie das erste Band.
Starke Söhne, zarte Töchter
Füllte bald das neue Haus,
Und es breiten Nachgeschlechter
Sich in tausend Zweigen aus.

Und noch immer wohnt und waltet
Unter ihren Kindern sie;
Ewig wirkt und unveraltet
Das Gesetz der Harmonie,
Wirkt in zarten Blüthenkeimen,
Im Gedüft der Frühlingsau,
Wie in fernen Weltenräumen,
Wirkt in Sonnen wie im Thau.

Sie belebt mit ihrem Hauche
Alle Reiche der Natur.
Rosen glüh'n am Dornenstrauche,
Palmen blüh'n auf sand'ger Flur.
Und durch reger Kräfte Weben
Stirbt kein Wurm, kein fallend Laub;
Neue Bildung, neues Leben
Schwingt sich aus dem Todtenstaub.

Sie durchdringt die flücht'gen Lüfte
Und den seelenlosen Stein,
Senkt sich in die Leichengrüfte,
Spielt im hellen Mittagsschein,
Fliesst im Saft der stolzen Zeder,
Deren Haupt in Wolken prunkt,
Zirkelt in des Laubs Geäder,
Wie im tiefsten Weltenpunkt.

Sie verknüpft in Eine Kette
Alle Wesen nah und fern,
Wolken mit des Strohmes Bette,
Mit dem Teich den Abendstern.
Und am grossen Aetherbogen
Werden gegenseits durch sie
Alle Welten angezogen
In allmächt'ger Sympathie.

Sie erhält mit weisem Walten,
Sie beschirmet, was sie schuf.
Saamen müssen sich entfalten,
Früchte reifen ihrem Ruf.
In verkerkernde Gestade
Bannet sie das wilde Meer,
Führt das Licht durch Aetherpfade
Ungeschwächt zum Auge her.

In der Winde leisem Säuseln,
Wie im Sturm, der Fichten beugt,
An dem Bach, den Weste kräuseln,
Wo am See, der drohend steigt,
In des Mondes sanftem Schimmer,
Auf des Morgens rother Bahn,
Rings und überall und immer
Weht ihr Lebensgeist uns an.

Ihrer Muttertreue Spuren
Zeigt die ganze Menschenwelt.
Sie bebaute wüste Fluren,
Sie vertheilte Land und Feld,
Legte zu der ersten Hüte
Selbst des Grundes vesten Stein,
Führte Recht und Volkessitte
Bey den dankbarn Kindern ein.

Auf die glatte Bahn der Wellen
Setzte sie den ersten Kahn,
Gründete geweihte Schwellen,
Flammte selbst das Opfer an,
Zündete das heil'ge Feuer
An dem gastlichtrauten Heerd,
Und erfand die süsse Leier,
Die des Lebens Wonne mehrt.

In dem lauten Freudensaale
Schmückt mit Rosen sie das Haar,
Beut des Trostes Labeschaale
Mitleidsvoll dem Dulder dar,
Winkt dem Pilger von der Irre
Auf den sichern Heimathpfad,
Und erscheint im Angstgewirre
Zagenden mit Rath und That.

Aber ihren Eingeweihten
Gibt sie Kraft in Sturm und Noth,
Gleichmuth bey der Flucht der Zeiten,
Freundestreu in Gram und Tod;
Helden stehen auf und fechten,
Freiheit ruft und Vaterland,
Und den Kranz des Ruhmes flechten
Enkel noch mit später Hand.

Endlich nimmt dem Lebenssatten
Sie der Erde Fesseln ab,
Bettet sanft im Fliederschatten,
Pflanzt ein frommes Kreuz aufs Grab,
Bringt aus Nacht zu reiner Helle,
Schenkt der Ruh' ersehntes Glück,
Leitet zu der Lebensquelle
Den entbundnen Geist zurück.

Aus: Auserlesene lyrische Gedichte von C. L. Neuffer
Tübingen gedruckt und verlegt bey Hopfer de l'Orme 1816

Collection: 
1829

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