Eine Rheinische Sage
Ringsum herrschet sel'ge Stille,
Leise sinkt die Nacht hernieder;
Auf die burggekrönten Felsen
Gießt der Mond sein weißes Licht.
In des Rheines stolzen Wellen
Wieget spielend sich der Nachen;
Träumend liegt der Fischerknabe,
Müßig neben ihm das Ruder.
Wunderbare Töne klingen
Lieblich, schmelzend aus der Höhe;
Auf den Felsen sitzt die Lore-ley,
In dem Arm die gold'ne Zither.
Lockend beugt sie sich hernieder,
Schleierlos sind Brust und Nacken,
Träumerisch und ernst beschattet
Von den seid'nen schwarzen Haaren.
In den sanften blauen Augen,
Halb zerdrückt, glänzt eine Thräne,
Erst vergossen um das letzte
Opfer ihres eiteln Lächelns.
Auf den schönen Zügen lagert,
Kaum bemerkbar, süße Wehmuth,
Doch die Lippen, halb geöffnet,
Sind bereit zu neuem Kusse.
Und umstrickt von ihrem Lächeln,
Und von ihrem Blick befangen,
Weilt der Jüngling festgebannet,
Hingegeben sel'gen Wonnen.
Holder Knabe! solltest fliehen!
Ach des Lebens schönstem Zauber,
Dem das Herz so gern sich neiget,
Folgt geflügelt das Verderben.
Schwarze Wolken nahen drohend,
Schneller heben sich die Wellen,
Aufgejagt vom wilden Sturme,
Doch er sieht nicht die Gefahren.
Fernher hallen dumpfe Donner,
Bleiche Blitze zucken prassend;
Ach – zu spät ist es geworden,
Schon zerschmettert sinkt der Nachen.
Noch den Blick zu ihr gerichtet,
Kämpft er mit den wilden Wellen,
Und, vergebens Hülfe flehend,
Hebt er auf zu ihr die Arme.
In der kleinen Fischerhütte
Harret die betagte Mutter,
Harret mit beklomm'nem Busen
Die geliebte junge Braut.
Schon im Osten glänzt Aurora,
Und die Braut eilt hin zum Ufer,
Sieht – Entsetzen bleicht die Züge,
Auf dem Sande – eine Leiche.
Mit des Schmerzes heißen Thränen
Knie't sie bei dem Heißgeliebten.
Oben auf dem Lore-ley Felsen
Hebt sich eine Nebelsäule.