In der Fremde

Vielleicht ist alles gar nicht wahr,
und daß ich in die Fremde fahr',
früh kaum ein Traum noch blieb,
aus dem dich meine Stimme rief,
du liest im Bett von meinem Brief
nur dies: "Ich hab' dich lieb!"

Ich hab' dich lieb und bin bei dir,
obwohl in fremder Stube hier
ich einsam schlaflos lag,
ich dachte dein, da ward mir warm,
da hielt ich dich in meinem Arm,
und froh begann mein Tag.

Mein Tag war bald schon wieder kalt,
und ich stand abgetakelt, alt,
auf fremdem Platz allein.
Du gehst, von meinem Wort umwärmt,
in deinen Blicken lächelnd schwärmt
das Glück: "Er dachte mein!"

Wie einer, den man morgen hängt,
inbrünstig an das Liebste denkt,
so schmerzhaft denk' ich dein.
Ob ich zu dir noch einmal fahr',
ob ich schon morgen Schatten war
und ließ dich auch allein?

Und dir blieb nichts mehr als ein Brief,
aus dem noch meine Stimme rief,
noch rief: "Ich hab' dich lieb!"
Der Schatten einen Schatten traf,
du weinst dich einsam in den Schlaf,
aus dem kein Traum dir blieb.
(Band 2 S. 58-59)
_____

Collection: 
1986

More from Poet

  • Oft ist es mir, als zöge deine Hand
    Mich plötzlich bettelschüchtern am Gewand.

    Ich aber muß verstockt so weiter schreiten
    Und meine Augen über Pöbel breiten.

    Ich bin in Stuben, die voll Qual und Qualm -
    Und draußen blüht dein...

  • Ich folge deinen Füßen bis
    In jede Furcht und Finsternis!

    Deine Hände machen mich weinen,
    Sie sind die jungen Schwestern der meinen.
    Sie leuchten über meinem Pfade
    Als Sterne einer großen Gnade.
    Sie könnten mir...

  • Ich aber bin der Kleinsten Einer
    Und der Geringste unter ihnen,
    Und bin nicht wert, dir scheu zu dienen,
    Denn so verscheucht, als ich, ist keiner,
    Und jeder hat in seinen Mienen
    Doch noch ein: Keuscher Ich und Reiner!

    ...
  • "Unglücklich kannst du mich nicht mehr
    und nicht mehr glücklich machen!"
    Dein strenger Ausspruch schmerzt mich sehr
    und läßt mich nachts erwachen.
    Dann denke ich dem allen nach,
    was dich verbittern sollte,
    was Arges...

  • O könnt' ich dir den Gram ersparen,
    von jedem Kummer dich befrein,
    in allen Nöten und Gefahren
    dir Tröster und Beschützer sein,
    dein Herz mit frischem Mut beleben,
    und dir ein sichres Obdach baun,
    was dein einst war,...