Der Bach

Die Rose sprach
Zum muntern Wiesenbach:
Wie seh' ich mit Freu'n
In deiner klaren Wellen Schein!
Der Bach seufzt: Ach!
Aus seinem Cristallgemach,
Wie seh' ich mit Freu'n
In deine holdseligen Äuglein hinein!

Und blickst du gern
In meiner Äuglein Stern,
Was jagst du fort
Nach ewig weiter Ferne dort?
O bleibe hier,
Wie will ich kosen mit dir
Am heimischen Ort,
Wo glühende Liebe sprießt und flort!

Wär' ich die Luft,
Weht' ich, wo Liebe ruft;
Wär' ich ein Stein,
Läg ich, mein Lieb, vor der Thüre dein:
Doch bin ich Bach,
Und muß mein Ungemach
Und alle Pein
Tragen in die öde Ferne hinein. -

Da kam die Maid
Gar inniglich erfreut,
Sah's Röslein blüh'n,
Die strahlende Blumenkönigin;
Mit freudiger Hast
War's Blümlein bald erfaßt,
Die Maid ging hin,
Die Rose im Busen, die Liebe im Sinn.

Der Bach seufzt: Weh!
Und stürzt sich trüb von der Höh';
Doch naht die Zeit
Des Lenzes, wo's Röslein starb durch die Maid:
Da schwillt er wild,
Braus't zornig durch's Gefild,
Und will sein Leid
Uebertäuben durch feindliche Bitterkeit.

aus: Gedichte von C. Dräxler-Manfred
Frankfurt am Main 1838
Druck und Verlag von Johann David Sauerländer

Collection: 
1838

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