Ich denke dein, sobald der erste Schimmer
Des jungen Tages Wald und Flur erhellt,
Und in mein einsam stilles Zimmer,
Und in mein waches Auge fällt,
Wenn Andacht mir im Herzen glühet,
Und meines Morgenopfers Flamm'
Empor zum Himmel ziehet.
Ich denke dein mit frommer Herzensfeier,
Vor deinem Bild, in süßem Selbstbetrug,
Und geb' in schöpferischem Feuer
Ihm Geist und Leben Zug vor Zug,
Ich wähne freudig dich mir näher,
Und ganz vertieft im Schauen schlägt
Die heiße Brust mir höher.
Ich denke dein, wenn mich in muntern Chören
Das Häuflein uns'rer Kinder froh umringt,
Ich wähne dich zu schau'n, zu hören,
Wo vielfach sich dein Bild verjüngt,
Doch wenn sie nach der Mutter fragen,
Laß ich des Wiedersehens Trost
In uns're Herzen tagen.
Ich denke dein, wohin mein Blick sich wendet,
Ich sehe deiner Hände süße Spur,
Was du geordnet und vollendet
Im Haus, wie in der Gartenflur,
An Zeichen, die mich rings umgeben,
Seh' ich, stets mahnend, deinen Geist
Mir nah und näher schweben.
Ich denke dein auf buntem Wiesenpfade,
Und auf des Eichenhügels freiem Haupt,
Am Steg, am schroffen Bachgestade,
Am Tisch, von Luxusgrün umlaubt,
An jedem Ort, auf allen Wegen,
Die wir getheilt mit frohem Sinn,
Schwebt mir dein Bild entgegen.
Ich denke dein, wenn sich die Sonne neiget,
Wenn mählig sich des Tages Auge schließt,
Wenn Dunkel aus den Thälern steiget,
Und Schlummer stärkend mich umfließt;
Wenn alle Sinnen mir vergehen,
Darf im Verklärungsschimmer dich,
Mein Seelenauge sehen.
Aus: Gedichte von Neuffer
Erstes Bändchen Cabinets-Ausgabe
Hildburghausen u. New York
Druck und Verlag vom Bibliographischen Institut 1829