An das Veilchen

Warte noch im Schosse mütterlicher Erde,
Liebstes Veilchen! Keime nicht hervor!
Denn betrüglich steiget eines falschen Lenzen
Sonne lächelnd über dir empor.

Hat sie deiner Hülle tückisch dich entschmeichelt,
So verbirgt sie unter Wolken sich,
Und die Schneegestöber, und der Fröste Schauer,
Die bedecken, trautes Veilchen, dich!

Warte, bis in deiner Unschuld sanften Blüthe
Dich kein Hauch des rauhen Nords mehr stört,
Bis zu dieses stillen Thales Freuden,
Theon, der dich liebet, wiederkehrt.

Collection: 
1799

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