96.

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Wie wohl ist mir, bei jedem Brief zu weilen,
Den du, getrennt von mir, an mich gesendet;
Wie süße Bilder werden mir gespendet
In jedem Worte dieser theuren Zeilen!

"Die Zeit," schreibst du, "scheint mir zu sehr zu eilen,
Wenn bei der Arbeit, die mein Fleiß vollendet,
Mein Blick auf deine Briefe sich gewendet,
Auf Angedenken, die mein Sehnen theilen.

Wenn Freundinnen mich zum Spaziergang rufen,
Wie fühl' ich dann mich erst allein gelassen,
Wenn jener Sitz am Fenster mir entschwunden!

Wohl kann's von jenen auch nicht eine fassen,
Was mir für Balsam meine Thränen schufen;
Ein Herz wie deins, hat keine ja gefunden."

Collection: 
1905

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Strebt' ich auch, was mich umflicht,
Aus der Seele wegzudrängen;
Ach! an tausend Fäden hängt es,
Ach! mit tausend Knoten zwängt es,
Und das Herz bleibt drinne hängen,
Und das Netz, ich lös' es nicht.

(Triolett)

Galt es mir, das süße Blicken
Aus dem hellen Augenpaar?
Unter'm Netz vom goldnen Haar
Galt es mir, das süße Blicken?
Einem sprach es von Gefahr,
Einen wollt' es licht umstricken;
Galt es mir,...

Thränen unerhörter Liebe
Sind die Boten meiner Triebe.

Lauft nicht, laufet nicht, ihr Quellen,
Eilet nicht aus diesen Fässern,
Lasset ab das Land zu wässern;
Hier sind Thränen, hier sind Wellen
Eure Ufer...

Laß uns blühen, wie wir blühn,
Eh' der Winter welker Jahre
Dir die goldgemengten Haare
Wird mit Silber unterziehn.
(Fleming)

Sollten wir dem Frühling wehren,
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Kränz' in...

Der Himmel fühlt und theilet meine Qualen,
Auch ihm geht nun der Sonnenschein vorüber,
Die Luft wird schwül, die Ferne trüb' und trüber,
Und ernste Schatten dräun' den Berg' und Thalen.

Das Blau verwallt in Dunst, die finstern, falen...