Zweytes Fragment

Boreas hatte getobt, mit ehernem Fittig gebrauset,
     Daß die Erde gebebt, daß sich die Völker entsetzt,
Aber ihn hörte nicht Natur, im Schlummer erstarret,
     Fester über sich zog sie nur die Decke von Eis.
Nicht der Gewalt wich sie, sie harrte des Rufes der Liebe,
     Und da sendete Zevs Zephyrn den liebenden ab.
Sanft umweht’ er die Freundinn, er küßt’ ihr leise die Wange,
     Lößt’ ihr das lockige Haar, rief sie mit freundlichem Laut —
Siehe, da schlug die Schöne empor zum Himmel die Blicke,
     Blickte lächelnd umher auf dem zerstörten Gefild,
Und die Wolken verschwanden von blauer Tiefe des Aethers,
     Phöbus, in glänzender Pracht, lachte den Sterblichen neu,
Schmiegte liebend der Flur sich an mit belebenden Strahlen,
     Glühende Liebe ergoß rings um die liebende Gluth,
Und der neidischen Hüll’ enthüpft, die Schöne der Glieder
     Zeigend, stand Natur jugendlich kräftig empor.
Voll von Sehnen die Brust rief sie den Lenz, den Geliebten,
     Rief den Lenz, und der May brachte den Fröhlichen her.
Heiß umschlang er die Braut in der Liebe hoher Begeistrung,
Krönte mit Blumen ihr Haar, schmückte die göttliche Brust,
Hieß das Feld ergrünen, den Wald; und den schwankenden Zweigen
     Gab er Zungen, daß sie sängen das herrliche Fest.
Was da lebte war seelig in der Geliebten Vereine,
     Liebt’ und hüpfte dahin durch das belebte Gefild.

Collection: 
1804

More from Poet

  • Boreas hatte getobt, mit ehernem Fittig gebrauset,
         Daß die Erde gebebt, daß sich die Völker entsetzt,
    Aber ihn hörte nicht Natur, im Schlummer erstarret,
         Fester über sich zog sie nur die Decke von Eis.
    Nicht der Gewalt wich sie, sie harrte des Rufes der...

  • Sprich, du liebliche Freundinn, wer wieß dir die Pfade des Rechten,
         Die du freundlich und leicht wandelst mit sicherem Tritt?
    „Geh’ ich die Pfade des Rechten? Ich weiß es nicht, aber es freut’ mich,
         Daß mein Walten und Thun recht dir und löblich erscheint.“...

  • Wenn ihr einst den Jüngling wieder sehet,
    Oede Fluren, den mein Herz erkor,
    O dann tritt der holde Lenz hervor,
    Blumen sprießen, wo sein Odem wehet.
    Rings umher
    Suchet ihn mein Blick –
    Ach, und er
    Der Geliebte kehret nicht zurück.
         ...

  • Ist die Zeit auch leicht und flüchtig,
    Mag sie kommen, mag sie gehn,
    Wird doch das, was echt und tüchtig,
    In der flüchtigen bestehn.
    Sey’s ein Werk in Erz gegründet,
    Sey’s ein Hauch, ein leichter Schall;
    Immer blitzt es, trifft und zündet,
    Wirkt...

  •      Hört die überweisen Dummen,
    Wie sie maulen, wie sie brummen:
    Holdes Lied sey hohler Klang.
    Dafür wird die Langeweile
    Dem unsel’gen Volk zu Theile,
    Mit Gesichtern ellenlang.

         Hört die überdummen Weisen
    Feines Spintisiren preisen,...