Der Schnee deckt die Erde, 's ist dunkel und kalt,
Der Wintersturm brauset und schüttelt den Wald,
Er peitschet die Wolken am Monde vorüber,
Und schneller nun kommen sie, trübe und trüber.
"Willkommen mir, Finsternis, Stürme und Schnee,
Ihr stimmet so gut zu dem eigenen Weh!
Da drinnen ist's dunkel, und nimmer ruht
Der trüben Gedanken stürmische Flut.
Ihr Sturmbezwinger, dem Winter gesellt,
Ihr Nebelgestalten der Schattenwelt,
Ich ruf' Euch, der Schwere des Kampfes bewußt,
O lehrt mich bezwingen den Sturm in der Brust!
Erfüllet mich mit der uralten Kraft,
Die stets aus dem Winter den Frühling erschafft.
Sowie der Mond aus dem Nebelthor,
Ihr alten Götter, hervor, hervor!
Und siehe, auf eilenden Wolkenrossen
Sie kommen, sie kommen in herrlichen Trossen,
Sie folgen dem Rufe durch Nacht und Graus
Mit Mondenschimmer und Sturmesbraus.
"Heil, Odhin, Du Alter, so weise im Rat!
Heil, Frigga, Du Güt'ge in Wort und in That!
Wie schwingest Du kräftig den Hammer, o Thor;
Wie mächtig auch steigest Du, Tyr, empor;
Wie schauest so listig Du, Loke, drein,
Die Locken umspielet von züngelndem Schein.
O Braga, wie klinget Dein Heldengesang
So herrlich zu goldener Harfe Klang!
Gegrüßt sei mir, Freya, holdselige Frau,
Wie Mondenlicht lieblich und Morgentau,
Mit Deinem Bruder, der wonnig im Lenze
Uns immer erneuet die duftigen Kränze,
Wie naht Ihr, Walkyren, in grauser Pracht,
Wie Wetterleuchten der Sommernacht!
Willkommen, Ihr Helden alle und Frauen,
So mächtig, so prächtig, so lieblich zu schauen,
Ihr Hohen und Starken, ich sage Euch Dank,
Daß Ihr gekommen, mein Herz ist krank.
Nun eilt nicht vorüber, o höret mich an
Und sagt, wie den Sturm ich beschwichtigen kann!
Weit hinter mir liegt, ach! weit zurück
Der Kindheit Wonne, der Jugend Glück.
Ja, ich war glücklich, in mutigem Hoffen
Sah ich den Himmel auf Erden mir offen.
In träger Ruhe nicht hab' ich gelebt,
Ich habe gerungen und rastlos gestrebt,
Doch meiner Mühe erwuchs keine Frucht,
Und nimmer, ach, fand ich, was ich gesucht;
Was ich erstrebte, erreichte ich nicht,
Und nun erlosch auch der Hoffnung Licht.
Ich habe immer das Beste gewollt
Und habe nie mit der Menschheit gegrollt,
Doch glaubet man nicht, wie gut ich es meine,
Und schilt, daß aus eitler Selbstsucht ich weine.
Ach, Thränen sind es verlorenen Lebens,
Das nimmer müßig und doch so vergebens,
Was ich als Segen bei anderen fand,
Zum Fluche ward es in meiner Hand.
Ich wollte sammeln und mußte zerstreuen,
Und wo ich beglücken gewollt und erfreuen,
Da schuf ich nur Herzleid und Ungemach,
Daß selber mir fast das Herz drum brach.
Mit bunter Sorge hab' ich mich gequält,
Ich habe gestrauchelt, geirrt und gefehlt;
Viel hab' ich bereuet und schwer auch gebüßt,
Mit Arbeit nur hab' ich mein Leben versüßt.
Nun nahen des Alters traurige Stunden,
Und mit dem Mut ist die Kraft mir entschwunden.
Wozu denn dienet der gute Wille?
Er hilft keinem andern, mich macht er nicht stille.
Wozu noch wirken und kämpfen und ringen,
Wenn keine Hoffnung mehr auf Gelingen?
Wozu das ganze erbärmliche Leben,
Das nie sich vom Staube kann erheben?"
Da rief mir der mächtige Geisterchor:
"Nicht frage wozu, nur vorwärts, empor!
Fragt denn die Sonne, wozu ihr Licht?
Und fraget der Sturm, wie viel Bäume er bricht?
Verloren im Weltall ist keine Kraft,
Die still nach dem ew'gen Gesetze schafft.
Frag' nicht, wer es gern sieht, frag' nicht, wem es nützt,
Nur siehe, was Dich vor Verderben schützt;
Thu' immer das Gute, soviel Du vermagst,
Doch thöricht ist's, wenn nach Danke Du fragst.
Nur nicht verzagen, nur Mut, nur Mut!
Was gut gemeint ist, wird endlich auch gut.
Nicht Stürme mehr fürchte und dunkles Geschick
Und vorwärts nur wende den mutigen Blick.
Dir nützt nur das Licht, dem entgegen Du siehst,
Verfolgen wird Dich der Sturm, den Du fliehst!"
"Ich dank' Euch, Ihr Guten, für Eueren Rat.
Ja, ich will weiter pflegen die Saat,
Will weiter wirken und fragen nicht,
Wie Winde, Wolken und Sonnenlicht.
Ihr habet die Kräfte mich brauchet gelehrt
Und habet den Mut mir, den lassen, gemehrt.
O gebet mir nun auch den Frieden zurück,
Im Frieden nur blühet des Menschen Glück.
Wo weilet Balder, der wonnighelle,
Des Guten Beschützer, des Lichtes Quelle?
Erbittet für mich von dem Freundlichen, Reinen,
Daß er mir ins Herz läßt die Sonne scheinen.
Welch dunkles Geschick mir auch sei beschieden,
Nur gebt in die Seele mir Frieden, Frieden!
Was hüllet Ihr nur ein das Angesicht
Und schweiget und weinet und redet nicht?
O ich beschwör' Euch, Ihr Nachtgestalten,
Ihr mächtig hohen Naturgewalten,
Erhört meine Bitte, o höret mich an,
Und sagt, wie den Frieden ich finden kann!"
Da ballten die Wolken sich finster zusammen,
Und Blitze zuckten in röthlichten Flammen,
Da tönte, vom Sturmesfittich getragen,
Es mir wie Seufzen und wildes Klagen:
"Wir wallen und weben in dunkler Nacht,
Wir glühen und sengen in Sommerpracht,
Wir bringen den Winter und brechen das Eis,
Wir schmücken und wir entlauben das Reis,
Wir haben die Kraft, die das Dunkel bricht,
Den Frieden aber, den haben wir nicht.
Ach, Balder, der holde, ist von uns gegangen!
Doch schmückt sich die Erde mit neuem Prangen,
Und schwellen die Knospen am Baum und Strauch,
Dann geht durch die Welt ein Liebeshauch.
Vom Winter zum Lenze, vom Dunkel zum Licht
Du hörest die Mahnung, verachte sie nicht.
Und tönen die Glocken dann weit umher,
Am Ostefeste erstehet der Herr,
Der, schöner als Balder und Lenzessonnen,
Das Licht ist der Welt und des Friedens Bronnen.
Er lehrt Dich die Liebe, die nimmer vergeht,
Die heilig und rein wie ein stilles Gebet,
Die, welches Weh ihr geschehen, vergibt,
Die tilgt alle Schuld, weil allmächtig sie liebt.
Sie hellet das Dunkel und machet Dich frei,
Daß Frühling und Ostern im Herzen Dir sei!"