Wahre Liebe

Wer innig liebend wird geliebt
Und Wonn' empfängt, indem er Wonne giebt,
Nur der erkennt die Lieb' in ihrem Grunde,
Und ihm nur wird von ihren Wundern Kunde.
In ihm regiert die Lieb' allein und rein
Und zeigt als Siegerin im Glorienschein,
Wie sie die Flamme höchster Lust entfacht,
Wie sie der höchsten Güte fähig macht.

Wenn deinem Aug' ein Frauenbild erscheint,
Die, was dein Herz sich wünscht, in sich vereint;
Wenn dich ein Sehnen schmerzlich süß ergreift
Und zauberschnell zu tiefer Neigung reift:
Dann mühst du dich mit allen deinen Sinnen,
Wie du die Huld der Schönsten magst gewinnen.

Die Fliehende, du suchst sie zu erreichen,
Das spröde Herz, du suchst es zu erweichen.
Die Liebe treibt dich und sie lebt in dir,
Doch auch der Sorge bang Gefühl mit ihr.
Der Liebe Kraft verzehrt sich im Begehren
Und nur die Hoffnung labt dich im Entbehren.

Und wenn sie grausam dann zurückestößt
Die Leidenschaft, die sie dir entgeflößt,
Wie soll das tieferregte, weiche Herz
Bewältigen so namenlosen Schmerz?
Die Sehnsucht und die Liebe glüht in ihm,
Ein traurig Glück mit ihnen blüht in ihm.
Allein die Pein, die grimmig es gefaßt,
Sie wird ihm eine allzuschwere Last!
In stolzen Augenblicken brennt die Scham,
Und unaufhörlich leise nagt der Gram.
Fort lebt die Liebe; doch sie wankt am Stabe
Und sehnt sich leidensmüde nach dem Grabe.

Hat die Natur dir heldenhaftes Mark
Und edeln Schwung verliehn, so wirst du stark
Die Qual und Trauer, dich verschmäht zu sehn,
Tief in dir selbst bekämpfen und bestehn.
Doch bleibt in deinem Herzen noch die Liebe,
Dann ist sie nicht der höchste mehr der Triebe:
Gewaltiger als sie wird das Bewußtsein
Der Tugend, die du übst, in deiner Brust sein.
Die Liebliche, die deinem Herzen theuer,
Du weihst ihr nur ein sanftes, mildes Feuer.
Und magst du edelmüthig sie erheben -
Du fühlst dich größer: denn du hast vergeben!

Wenn aber sie, für die dein Herz empfindet,
Dich selber holdentglommen sucht und findet;
Wenn ihre Tugenden, der Liebe Strahlen,
Sich wunderbar in deine Seele malen;
Wenn du der Liebe ganze Herrlichkeit
In ihr erblickst, und durch die Huld geweiht
Der Edeln reinste Zauber sich enthüllen:
Kann andre Regung deine Brust erfüllen?
Nur Liebe kann vor solchem Licht bestehn,
Und Alles muß in ihrem Strom vergehn.

Und nun, was du bewundernd siehst in ihr,
Sie sieht es mit Bewunderung in dir.
Und was unmöglich schien, in solchem Schauen
Noch holder wird die holdeste der Frauen.
Da suchen sich die beiden Liebesflammen,
Da streben sie, da leuchten sie zusammen!
Sie wachsen hoch empor und nähren sich,
Sie läutern sich und sie verklären sich.
Und das vollkommne Glück, zu lieben rein
Und rein geliebt zu werden, es ist dein!
Des Suchens Lust, die Freude des Erlangens,
Die Seligkeit des Gebens und Empfangens.
Und wenn du Liebe nur um Liebe giebst,
Und wenn du nur die hochverdiente liebst,
Dir ihrer Gegenliebe tief bewußt,
Mit Recht durchdringt ein stolz Gefühl die Brust.
Denn zu der Liebe stellt die Ehre sich,
Mit ihrem Glanz sie schmückend königlich.

Und wo nur Preis dir möglich, nicht Verzeihn,
Da wirst du ihr dich ohne Rückhalt weihn.
Wirst sie mit Demuth über dich erheben,
Mit lobentzückter Huldigung umgeben.
Die Gute reizt dich zu erhöhter Güte,
Sie steigert jede Kraft dir im Gemüthe,
Und deine Brust, von Himmelslust umweht,
Muß überströmen in ein Dankgebet.
Nie, was die Zärtlichkeit ihr auch gewährt,
Nie wird die Liebende zu hoch geehrt!
Giebst du ihr Alles was du kannst an Glück,
Sie giebt dir Alles tausendfach zurück.
Und immer fühlst du dich in ihrer Schuld,
Denn nie erhebst du dich zu ihrer Huld.

O überschwänglich reiche Wunderwelt,
Von seliger Tugend, heiligem Glück erhellt!
Wo wär' ein Griffel, der dich ganz umschriebe? -
Nur wer geliebet liebt, der kennt die Liebe!

Aus: Gedichte von Melchior Meyr
Berlin Verlag von Julius Springer 1857

Collection: 
1857

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