Seht ihr in üppig Laub gehüllt
Der Liebesgöttin heilig Bild?
Die keuschen Blätterlippen drückt
Ein Rosenstrauch daran entzückt,
Und schlingt die Arme, bebend, stumm,
Mit kühner Schüchternheit darum.
Doch wilder rankt des Efeu Grün
Sich um die Wellenglieder hin,
Und schmiegt sich an in süßem Rausch,
Betäubt von ew'ger Küsse Tausch.
Des Thau's krystallner Thränenschaum,
Erglänzt an seiner Wimper Saum;
Ausbreitend aber seinen Schild,
Ein Schirmer für das schwache Bild,
Senkt drüber einer Fichte Dach,
Die ernsten Zweige lispelnd nach,
Und reiht die Aeste, dichtbelaubt,
Zum Festkranz um der Göttin Haupt.
Und höher noch, in luft'gem Raum,
Ragst, Eiche du, geweihter Baum,
Du siehst herab, ein stolzer Aar,
Der spielet in der Göttin Haar,
Wie Jovis' Aar mit Blitzen spielt,
Und sich im Sonnenfeuer kühlt.
Welch buntes Leben fliegt herbei
Und kost und küßt die Bildnerei?
Der Schmetterlinge buntes Heer,
Viel tausend Schatten leicht und schwer.
Der Sonne Strahlen, neidisch fast,
Umglühn's mit Nebenbuhlerhast,
Und alle Weste tanzen leis
Um's Bild in mildem Zauberkreis.
Wir selber stehn und sehn es an,
Und haben unsre Freude dran,
Und Jeder denkt wol, wie er's schaut,
An seine Gattin oder Braut!
Wo nur ein Bild der Liebe steht,
Ist auch ein Altar bald erhöht,
An den, von heil'ger Flamm' entglüht,
Natur und Mensch, begeistert, kniet!
Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826