Vom geliebten Dornenstrauch

In meinem Blumengarten steht
Ein wilder Strauch im Rosenbeet
Voll schwarzer, spitzer Nadeln.
Die Freunde lachen, die ihn seh'n:
"Bei Rosen hier die sauren Schlehn!"
Und spotten laut und tadeln.

"Der Strauch ist seinen Platz nicht werth!
Was wird der Dornbusch so geehrt,
Der häßliche, der alte?"
Ei, zieht mir nur den Mund dazu,
Ich habe meinen Grund dazu,
Daß ich so hoch ihn halte!

Hier war vordem ein wüster Platz,
Bei diesem Busch hat mir mein Schatz
Den ersten Kuß gegeben.
Da pflanzt' ich Rosen rings herum -
Nicht wahr, Ihr Herr'n, nun steht Ihr stumm
Und laßt den alten leben?

Da les' ich Euch im Angesicht:
Den Dornbusch selbst verdienet nicht
Dein ungerath'nes Schätzchen.
Wohl habt Ihr recht, doch laß' ich ihr
Im Herzen, wie im Garten hier,
Das alte, liebe Plätzchen.

Doch du, mein Kind, bedenk ich mich,
Dann juckt und brennt es mörderlich
Wie Nesseln vor der Stirne
Wär' nicht Dein Kuß so glühend heiß,
Dein Hals und Arm so blühend weiß,
Du liebe, böse Dirne!

Und bleib' ich Dir am Tage fern,
Und wenn ich mich nur Abends gern
An Deiner Nähe labe:
Dann denke nicht: ich gräme mich -
Du böser Schatz, ich schäme mich,
Daß ich so lieb Dich habe!

aus: Der neuhochdeutsche Parnaß 1740-1860
Eine Grundlage zum besseren Verständniß unserer
Litteraturgeschichte
in Biographien, Charakteristiken und Beispielen
unserer vorzüglichsten Dichter
von Johannes Minckwitz
Leipzig Arnoldsche Buchhandlung 1861

Collection: 
1848

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