Vision

Ueber mein Leben und mich nachsinnend in einsamer Stunde
Komm' ich ein Strom mir vor, wogend in üppiger Pracht.
Ihre Liebe - mein Bett, die umfangenden Arme - das Ufer,
Sanften Schwänen gleich glitten die Tage dahin.
Und wie das Rohrhuhn itzt auftaucht, dann die Tiefe versuchet:
So die Gedanken im Kopf, so das Gefühl in der Brust!
Fröhliches Fischervolk - die Menschen meiner Umgebung -
Holte auf leichtem Kahn reichliche Beute sich gern.
Ach, und jetzt! - die schränkenden Ufer ihrer Umarmung,
Ihre Liebe dahin! - Eiligst da löste das Band
Kosender Wellen sich, und zersponnen in irrende Bächlein,
Treibet der prächtige Strom Fluren hinüber und Feld;
Blumen mit lehmiger Fluth ertränkt er und Gräser und Saaten;
Endlich im moorigen Thal stockt er - ein trauriger Sumpf!
Sprödes Schilf für Blumen am Rand, für Schwäne und Rohrhuhn
Eidechs, Kröt' und Molch. - Spinnen mit luftigem Leib'
Fahren statt schaukelnden Kähnen darauf und schiebende Käfer.
Statt des Fischervolks, jauchzend nach reichlichem Fang
Waten Störche umher. - Im Röhricht züngelt die Schlange.
Kibitze pfeifen, auch brüllt schaurig der Rohrdrommel oft.
Weitweg fliehen die Menschen, die grünenden Lande ersterben,
Oede und Tod ringsum, innen des Todes Pallast!
Nur wenn um Mitternacht sich Sturm und Wetter begegnen,
Wird es lebendig im Sumpf: klägliches Murren ertönt,
Und am Morgen sodann fließt an ein zauberndes Strömlein -
Hei, warum so träg? - Wille und Kraft ist gelähmt!

Collection: 
1855

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