VI.
Wohl ist die Lilie wunderbar,
Wenn stolz sie sich im Garten wiegt,
In ihrem Kelche, sonnenklar,
Langsam der Morgentau versiegt;
Doch mag ich gehn und wandern,
So weit nur Lilien stehn,
Ist keine vor der andern
Mit höherm Schmuck versehn.
Von Glanz und Lust und Klarheit voll
Ist alle diese reiche Welt,
Weiß nicht, wo ich mich wenden soll,
Daß Schönheit nicht sich vor mich stellt:
Nur du, nur du alleine
In all' der Zier und Pracht,
Gleichst noch dem Mondenscheine
In heitrer Sternennacht.
O lieblichste Vollkommenheit,
Die Niemand, als mein Herz, erkennt,
Wer hat dies stille Licht geweiht,
Das nur für mich im Weltall brennt?
Ich fühl' es stärker immer,
Daß dieser reine Strahl,
Daß dieser eigne Schimmer
Nicht ist zum zweiten Mal.
Das ist nicht Zufall, nicht Natur,
Was aus den blauen Augen strahlt:
Das ist der Gottheit Sonnenspur,
Die sich in dieser Seele malt.
Ich ahn' es licht und lichter,
Mein Herz, nun gib es zu:
Hier ist ein andrer Dichter
Und mächtiger als du. (S. 72-73)