"Nur eine Nacht der Wonne
Ein ewiges Gedicht,
Und unser Aller Sonne
Ist Gottes Angesicht!"
Novalis
I.
"Nur eine Nacht der Wonne!"
Glücksel'ger Rivalin!
Dem seines Lebens Sonne
Im Liebestode schien.
Nimm hin du buntes Leben
Dein glänzendes Geschmeid,
Doch einzig wolle geben
Im Arm der süßen Maid
"Nur eine Nacht der Wonnen!"
"Ein ewiges Gedicht," -
Wo stieg es zu der Erde
Wenn in der Liebe nicht?
Holdselig von Geberde!
Wie prangt der Hain, die Flur!
Schwebt sie zum Herzen nieder,
Schmerzsel'ge Blancheflour!
Du lebst im Lied der Lieder
"Ein ewiges Gedicht."
"Und unser Aller Sonne" -
Wo glänzt ihr milder Schein? -
Wer kennt der Liebe Wonne,
Die wundersüße Pein
Und ruft nicht selig gerne:
Das höchste Glück bist du!
Nennt sie nicht Stern der Sterne -
Entzücken ohne Ruh'
"Und unser Aller Sonne!" -
"Ist Gottes Angesicht."
Welch' freud'ges Gramentladen,
In seinem reinen Licht
In Jugendfrische baden!
Und wem das Herze bricht
Im vollen Liebesstrome,
Der kennt das Dunkel nicht;
Denn Ampel in dem Dome
"Ist Gottes Angesicht."
II.
Nur eine Nacht der Wonne!
Der Erdennebel sinkt
Dem, der in Todeswonne
Den Lebens-Balsam trinkt,
Die Grabes-Lampen zünden
Ihr Licht am Sternenscheine,
Und über dunklen Gründen
Schwebt still der Mond, der reine.
Es hat von Cana'ns Höhen
Nur Moses hingeschaut,
Und was er dort gesehen
Dem Liede ward's vertraut;
Das singt in frommen Weisen
Von jener Geistersonne
Und darf getrost verheißen
Dir "eine Nacht der Wonne!"
"Ein ewiges Gedicht -"
Nur im Prophetentraume
Erglänzt das Himmelslicht
Vom fernen Wolkensaume,
Und was ein Herz begehrt
Von heißer Liebe trunken,
Das wird ihm einst gewährt
In Seligkeit versunken.
Gedanke, Wort und That
Sie blühen hehr und milde,
Es reift der Wünsche Saat
In jenem Nachtgefilde;
Die stillen Träume glühen
In reiner Schönheit Licht,
Ein wundersames Blühen! -
"Ein ewiges Gedicht!" -
"Und unser Aller Sonne,"
Wird ew'ge Liebe sein!
Sie taucht in Licht und Wonne
Verwelkte Glieder ein;
Sie müssen all' gesunden
Am klaren Liebesborn,
Der Balsam ist gefunden
Für jedes Schmerzes Dorn.
Die Liebe jung und schön,
Die Hoffnung frisch und helle
Holdselig anzusehn,
Beruhigt jede Welle,
Nun strömt die Liebesfluth
Durch grüne Frühlingswonne,
Des Glaubens Liebesgluth
"Ist unser Aller Sonne."
"Ist Gottes Angesicht!"
O wunderreicher Hort!
Wann einst dein Weltenlicht
Erschließt der Ruhe Port;
Dann wird das Herz erhöht
Das fromm geliebt, geglaubt,
Im Gottesgarten steht
Was hier der Tod geraubt;
Dann kommt die Nacht der Wonne,
Das ewige Gedicht
Und unser Aller Sonne
Ist Gottes Angesicht!
aus: Wiesenblumen von der Sieg
und Feldblumen vom Rheine
Von Kath[arina] Diez und Elis[abeth] Grube geb. Diez
1. und 2. Theil
Düsseldorf 1847