Oft beklag ich mich bey dem Geschick:
Hast du denn für mich kein Glück?
O! so nimm mein allzuweiches Herz,
Diesen Quell von allem Schmerz.
Ist der Thor nicht glücklicher, als ich?
Stolz und kalt verlacht er mich;
Und wenn hatt' er jemals einen Gram,
Der ihn an die Seele kam?
Oft, wenn Philomele nur noch klagt,
Wein' ich einsam, bis es tagt,
Und mir Armen, mir gewähret kaum
Morpheus einen süßen Traum.
Dann erwach ich: kühler Morgenduft
Zieht sich durch verdünnte Luft:
Alle Sorgen fliehen mit der Nacht,
Nur mein treuer Schmerz erwacht.
Treuer, als mir Daphnens Liebe war,
Folgt er mir schon manches Jahr:
Wie mein Schatten treu, auf jeden Schritt
Meines Lebens schleicht er sorgsam mit.
O warum? warum schufst du Geschick
Weiche Seelen ohne Glück?
Und beglückte Menschen ohn Gefühl?
Sind wir Sterbliche dein Spiel?
Doch vergib, o gütiges Geschick,
Nur im düstern Augenblick,
Der zu bald mein schwaches Herz gewann,
Klagt' ich meine Leiden an.
Eh ich hart und fühllos wollte seyn,
Lieber wählt' ich alle Pein,
Lieber noch verschmähter Liebe Schmerz,
Lieber ein zerrißnes Herz.
aus: Gedichte von Karoline Christiane Louise Rudolphi
Herausgegeben und mit einigen Melodien begleitet
von Johann Friedrich Reichardt
Berlin 1781