Sturm

Mir ist es zu knapp in der Welt,
Zu enge der Wolken Gezelt,
Ich will laufen!
Zu leise der Sphärengesang,
Ein Jammer der irdische Klang,
Ich will brausen!

Zu langsam die Sonne sich regt,
Die Erde zu flau sich bewegt,
Ich will schütteln!
Der schläfrige Mond und der Stern,
Die blinzeln erlöschend von fern,
Ich will rütteln!

Es schlummert die Luft wie ein Kind
Und athmet so leise, so lind,
Ich will rasen!
So komm nur zum wirbelnden Tanz,
Ich spiel ein Orchester Dir ganz,
Ich will blasen!

Dort wandelt ein Mägdlein herum,
Noch blickt sie nach Keinem sich um,
Sie soll müssen!
Ich zause das Röckchen, das Haar,
Ich drehe und wende sie gar -
Ich will küssen!

Das Meer ist so flach und so matt,
Von Sonnenstrahlen so satt,
Ich wills bauschen!
Und hei! wie sichs schüttelt und bäumt,
Wuthbrüllend sich wälzet und schäumt,
Es soll rauschen!

Die Wälder entwurzelt mein Schritt,
Den Bergstrom, den Fels nehm ich mit,
Es muß krachen!
Und wenn mich die Furchtsamen fliehn,
So treib ich noch Spuk im Kamin -
Ich will lachen!

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885

Collection: 
1885

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