Spinnend saß das holde Mädchen
An des Ufers grünem Rand,
Drehte rund das glatte Fädchen
In der kleinen, weißen Hand.
"Zarte Schwester, süße Blume,
Winde mir den bunten Kranz;
Singe mit zu Ligho's Ruhme
In dem frohen Ringeltanz."
Doch wie auf erregte Wogen
Ernst die blasse Lilie schaut,
Still in sich zurückgezogen
Blieb dem Jubel fern die Braut.
Und sie schnellt die Spindel wieder,
Zieht den Faden goldig lang.
Sendet zu dem Meere nieder
Einen Blick dann, sehnsuchtsbang.
Als noch kaum der Morgen graute,
Und die frühe Lerche sang,
Zog ja dort hinaus der Traute,
Sicher hoffend reichen Fang.
"Kommt er wieder froh beladen
In dem Kähnlein, das ihn trug,
Zeig' ich ihm den schlanken Faden,
Den ich spann zum Hochzeitstuch."
Und im süßen Traum versunken,
Achtet sie der Spindel nicht,
In das Gras ist sie gesunken,
Und das zarte Fädchen bricht.
"Mädchen, laß dein thöricht Sinnen."
Spricht die Alte zürnend d'rauf,
"Deutungsvoll ist ja das Spinnen,
Und des Fadens glatter Lauf.
Wo die Wolkenlämmer baden
Und die Sonnenkinder geh'n,
Muß der Menschen Lebensfaden
Auch Werpeja's Finger dreh'n.
Rastlos rührend ihre Hände
Schaut sie her aus blauer Fern',
Und an jedes Fadens Ende
Knüpft sie einen lichten Stern.
Reißt ein Faden, öffnet immer
Mütterchen ein kaltes Grab,
Und verglüht im letzten Schimmer
Sinkt zur Erd' ein Stern herab."
Und zur Spindel greift das Mädchen,
Spinnet bis die Sonne sinkt,
Dreht das runde glatte Fädchen,
Bis der Mond im Meere blinkt.
Sonnentöchter, Sonnensöhne
Leihen wohl ihr goldnes Licht,
Doch in seiner Jugendschöne
Kehret der Geliebte nicht.
Winde weh'n, die Fluthen schwellen,
Und die Woge fällt und steigt,
Und hinunter in die Wellen
Sinkt ein Sternlein und erbleicht.
"Eben riß sein Lebensfaden;
Das war meines Liebsten Stern!
Muß in kühler Fluth sich baden
Ewig bis zum Tag des Herrn."
Und sie harrt am Ufer lange
Durch die sturmerregte Nacht,
Harret athemlos und bange
Bis das Morgenroth erwacht.
Und als keiner war gekommen,
Als kein Nachen heim ihn trug:
Hat ihr Garn sie abgenommen,
Wob sich still ein Leichentuch.
* Die kindlich einfache Poesie des lettischen Volkes ist ganz auf die sie umgebende Natur beschränkt, die sie auf das Mannigfachste beleben. So sind ihnen die Sterne "Sonnentöchter und Sonnensöhne", und bei der Geburt eines Menschen beginnt Werpeja, die Parze der Letten, einen Faden zu spinnen, dessen Ende ein Stern ist. Mit dem Tode reißt der Faden ab und der Stern fällt zur Erde. Dies ist die Grundlage des obigen Gedichtes, das zugleich noch andere Anklänge aus der lettischen Mythologie hat.
Ligho ist der Gott der Freude, und sein Name noch bis auf diese Stunde der Refrain bei lettischen Festgesängen, inbesondere am Johannistage.