Schwermuth

I.
Wie ward es denn, du liebes Weib,
Da wir so gut es meinten,
Wie Glied mit Glied am Menschenleib,
Daß wir uns nicht vereinten?

Daß wir die Hand, wie And're thun,
Uns am Altar nicht gaben,
Daß du und ich getrennet nun
Uns gar auf ewig haben?

Du ließest dir vom falschen Glück
Den Kettenschmuck anlegen,
Und ich - das ist mein Schelmenstück! -
Warf mich nicht rasch dagegen.

Ich saß, wie jene Post ankam,
In Plänen tief versunken -
Die Pläne hat mein Gast - der Gram
Verzehrt, der Schmerz getrunken!

Den Gästen wuchs das süße Fett,
Mir schwand des Lebens Frische,
Ich ächzte auf dem Leidensbett,
Sie jubelten am Tische.

Bei ihrem Jubel, meiner Noth
War Stund und Tag verflossen,
Und bei dem ersten Zornesroth -
Mein Paradies geschlossen!

II.
Du hast mich doch gewiß geliebt
Unendlich! - diesen Glauben,
Und wie es auch zu kämpfen gibt,
Kann keine Macht mir rauben!

Ich glaub' es anders einmal nicht,
Gedenkend all des Lieben,
Was ich als ewiges Gedicht
Mir in mein Herz geschrieben.

Ich glaub' und glaub' es anders nicht,
Gedenkend all der Zähren,
Die noch auf Brust und Angesicht
Ihr Lebensöl bewähren.

Kein Fleckchen ist auf dieser Hand,
Kein Plätzchen auf den Wangen,
Wo nicht von Deiner Lippen Brand
Die Kußesmale prangen.

Kein liebes Wort ward je gesagt,
Kein gutes je geschrieben;
Was je die Bangniß hat geklagt,
Die Freude hat getrieben -

Das hast Du auch zu mir gesagt,
Und o, wie oft geschrieben;
Hast ebenso gejauchzt, geklagt -
Ach, nichts ist unterblieben!

Drum, daß Du mich gewiß geliebt
Unendlich! - diesen Glauben
Kann, was es auch dagegen gibt,
Mir nichts auf Erden rauben!

III.
Nicht ferne steht, nicht allzu tief -
Faßt stößt sie an des Auges Scheibe -
Die Thräne, die Erinn'rung rief,
Inweilen ich das niederschreibe.

Doch Thränen sind genug geweint,
Magst trocken nun, mein Auge, schweifen!
Wenn auch darin der Schmerz erscheint
Mit seinem dunkelblut'gen Streifen.

Auch will ich nicht zum Lobe mir,
Nur Dir zum Troste will ich sagen:
Wie Du an mir, hing ich an Dir
In jenen lieben Lebenstagen.

Und Alles, was ich je gethan
Zu Tadel mir und auch zu Hulden,
Was ich verlor, verdarb, gewann
Kommt Dir dereinst zu Lohn und Schulden!

Schon seh' ich nah'n die Erntezeit -
Die übersegensreich sein dürfte! -
Der Frevelsaat in Trunkenheit,
Die ich aus Deiner Liebe schlürfte.

Die Wunden, die mein Mißmuth schlug
Und so er schrieb, die blut'gen Zeilen,
Die magst Du sämmtlich mild und klug,
An den getroff'nen Edlen heilen.

Und kommt es einst zum Weltgericht,
Da will ich mich fest an Dich klammern
Und rufen: Herr, ich that es nicht,
Die da! mag für mich beben, jammern. -

Doch sei getrost, wohl schlägt es um
Mit mir noch einmal, eh ich sterbe,
Und wird, daß ich mir Ehre, Ruhm
Und Rang für Schimpf und Schmach erwerbe.

Dann wiederum beim Weltgericht
Will ich mich jubelnd zu Dir ringen
Und rufen: Die da! Herr, ich nicht
Mag selig sein und "Sanktus!" singen. 

IV.
Auch will ich nicht zum Lobe mir,
Nein, Dir zum Troste will ich sagen:
Wie Du an mir, hing ich an Dir
In jenen bessern Tagen.

Ich trug Dich still im Herzensschacht
Umspielt von jungen Lustgedanken,
Bis oft in heller Liedespracht
Du brachest Haft und Schranken.

Ich schnitt in tausend Bäume ein,
Ich schrieb an Kreuze und Kapellen,
Ich grub ihn ein in harten Stein
Und hauchte ihn auf Wellen -

Ich sprach ihn zu den Sternen hin,
Den Winden gab ich - Deinen Namen,
Ich ließ ihn mit den Pilgern ziehn,
Die weit gewandert kamen.

Ich füllte Kopf und Herz so voll
Mit Deines Wesens Herrlichkeiten,
Daß noch zur Stunde nicht der Groll
Hat Raum sich auszubreiten -

So voll, daß noch zur Stund' der Schmerz
Erdrücket wird von Lustgefühlen,
Daß gütlich ruht mein krankes Herz
Auf den Gedächtnißpfühlen! -

Deß' Allen hab' ich keinen Dank
Und will - wie gern! - darauf verzichten,
Es soll nur, bis ich untersank,
Mich vor mir selber richten.

V.
Oft blitzt es auf geheim in mir -
Am äußersten Gedankenrande
Wenn Du der Frau'n vielschönste Zier
Auf einmal sprengtest Deine Bande -

Doch nein, nicht Du! so könnte nur
Für mich der gute Zufall handeln,
Ein starker Machtspruch der Natur
Allein kann jählings Alles wandeln! -

Wenn Du durch einen jähen Ruck
Der alten Dinge hier auf Erden,
Wenn Du, der Frau'n vielschönster Schmuck
Mein heilig Eigenthum sollst werden;

Wenn gäh die Zeit vom Liebebruch
Wie eitel Schaum in nichts zerränne,
Daß ich mich, wie aus altem Buch
Des Schauermärchens - kaum entsänne:

Wie es doch wär', wie stark und sehr
Mein armes Herz abließ' vom Leide?
Ey wie! wie bei der Wiederkehr
Des Frühlings aufjauchzt Flur und Heide!

Wie es doch wär', wie sehr und stark
Gedienet wär' dem Leib, dem siechen?
Ei wie? - so wie mit Lust das Mark
Grünt, wenn die bösen Fieber wichen!

VI.
Doch, weil es nicht geworden ist,
Und vom Geschicke nicht beschlossen,
Daß Du mir beigegeben bist
Zu meines Lebens Lustgenossen:
So magst Du sein mein Leidgesell,
Das offne Ohr für meine Klage,
Mein todtes Meer, mein reger Quell,
Aus dem ich schöpf', zu dem ich trage.

VII.
Die Zeit, die mir verronnen
Mit Dir in süßem Liebverein,
Ist so erfüllt von Wonnen,
Wie mancher Tag vom Sonnenschein.

Ist so erfüllt von Wonnen,
Wie oft in ihrer höchsten Pracht
Im Glanz von Millionen
Entzückten Sternen schwimmt die Nacht.

Ist so voll Lust gedrücket,
Wie mancher Wiese grünes Vließ
Mit Blumen ist geschmücket,
Wenn just der Lenz sich huld'gen ließ.

Und wieviel Wellengrüße
Das Meer zur Sonne schickt,
Mit soviel Liebessüße
Ward da mein Herz erquickt.
***

Noch brennt der Sternenriese,
Im Glanz schwimmt nach wie vor die Nacht,
Voll Blumen steht die Wiese
Und umgeschwächt der Meeres Macht -

Rings Alles ist beim Alten,
Nur ich bin neu im Einerlei:
Voll Gram- und Hohngestalten
Fast endlos - eine Wüstenei!

VIII.
Mir thut das Herz so weh,
Wenn ich der Zeit gedenk',
Fast wird vor Leid und Weh
Es hart und ungelenk.

Damals hat es so groß,
So voll in Dir geruht,
Wie in der Ebbe Schooß
Die ungestüme Fluth -

Wie groß mein Herz geruht,
Wie groß und voll in dir,
Das sei mit seinem Blut
Gezeichnet ins Papier!

Wozu ist sonst denn gut
Der wilde Flammenbach,
Bis mir in seine Glut
Das Haus zusammenbrach!

IX.
Wenn ich auch ganz verstumme
Zuweilen lange Zeit,
Und meinen Schmerz vermumme
Ins Kleid der Fröhlichkeit;

Wenn mich auch Alles lobet,
Beneidet ob der Lust,
Es lebt doch fort und tobet
Der Schmerz in meiner Brust.

Es gehen Tag und Stunden
Am rothen Himmel auf,
Da bluten alle Wunden
Zum heißen Zährenlauf.

Da schwinden alle Künste,
Des Gleichmuths Kronwerk bricht,
Wie fauler Moorlandsdünste
Gebild im Sonnenlicht.

Dann steh' ich so verlassen,
So unheimlich allein
Wie an verruf'nen Straßen
Der alte Meilenstein.

X.
Weil noch mit Strahlengruß
Zwei Augen nach mir schauten,
Und linden Thränenguß
Auf's glüh'nde Herz mir thauten;

Weil noch zwei Arme sich
Liebselig um mich schlangen;
Zwei Hände flehentlich
Nach mir Entferntem rangen;

Weil noch aus zartem Grund
Vor meines Blickes Glühen
Ein frischer Rosenbund
Sich hob mit raschem Blühen;

Und dann ein Jubelruf
In langem Kuß verschwebte;
Weil ich noch Wonne schuf
Und selbst in Wonnen webte;

Weil noch des Lebens Höh'n
In grüner Hoffnung lagen:
Wie war es doch so schön
In meinen Liebetagen -

Wie war es doch so ganz
Ein andres, sel'ges Walten,
Da sich im Rosenglanz
Der Lieb' die Tage malten!

XI.
Doch Alles ist vorbei -
Die Augen seh'n verdrossen,
Aus denen Schwärmerei
Und milder Thau geflossen.

Die Arme sind gesenkt
Als lägen sie in Banden;
Kein Mensch der Hügel denkt,
Wo einst die Röslein standen.

Die hellen Jubel rief,
Die Brust ist dumpf geworden,
Das tönet nun so tief
In traurigen Akkorden.

Ich selbst bin auch nicht mehr,
Was ich zur Zeit gewesen,
Und läßt sich auch nicht schwer
Vom Habitus ablesen.

XII.
Predigt
Und weil es denn so ist
Und bleibet immerdar,
Bis daß die alte Frist
Ein neues Kind gebar:
So komm', du junges Blut
Und laß dir predigen,
Ein Wort so ernst als gut
Will ich dir predigen!

"Zeit, Schönheit, Erdenlust
Verweht wie Spreu im Wind;
Das Glück such' nur du selbst,
Vergiß nie: es ist blind.

Das Erdenleben ist
Die Träume-volle Nacht,
Und wenn du endlich stirbst,
So bist du gäh erwacht.

Und dann, wie jetzt - du kannst
Mich einmal Lügen strafen! -
Frägt dich ein Mutterherz:
"Wie hast du, Kind, geschlafen?"

Und dann wie jetzt willst du
Den wirren Traum erzählen,
Doch will das Nachtgebild
Sich nie dem Licht vermählen.

Trotz deines Sinnens wird
Dir oft ein Gliedchen fehlen,
Und manches, was du weißt,
Das möchtest du verhehlen.

Doch das dich frägt, das sieht
Dir scharf ins Angesicht,
Und weh dem falschen Aug',
Dem Mund, der Lügen spricht!"

"Doch das beherzige:
Was du gesät im Traum,
Dasselbe Samenkorn
Steht dort als Halm und Baum.

Zu ernten hast du einst,
Was du hier angebaut,
Drum baue Unkraut nicht,
Bau' lieber gutes Kraut!

Gib acht, gib acht, daß nie
Dein Herz dir werde kühl:
Ein liebewarmes Herz
Hegt Himmelsvorgefühl!"
***

"Je höher die
Begeisterung,
Je nöthiger
Bemeisterung.

Wer sich sein Kreutz
Am höchsten baut,
Am nächsten auch
Den Himmel schaut.

Du bist nur Mensch;
Doch Zoll für Zoll
Von Gottes Geist
Und Liebe voll.

Vertrau' nicht bloß
Dem eignen Kopf:
Am meisten bäumt
Sich Wiedehopf.

Zum Denken sei
Doch nie zu faul,
Laß hott und hist
Dem Karrengaul.

Wer weiß und glaubt,
Ist wohlgethan,
Für da und dort
Der rechte Mann! -"

Das wollt' ich, junge Schaar,
Dir eiligst predigen,
Ist weiter auch, fürwahr!
Nicht viel zu predigen.
Amen!

XIII.
Einst schritt der Todesengel -
Ich war entfernt von Ihr -
Mit hohem Ernst vorüber
Und blickte scharf nach mir.

Von seinem Aug' verwundet
Erlag ich Stund und Tag,
Wie Jeder, der's erfahren,
Wohlweislich wissen mag.

Doch Stund und Tag verrannen,
Des Blickes Mal verging,
Es zog der Baum des Lebens
Den frischen Jahresring -

Und hin zur Liebsten eilte
Ich voller Jubel dann
In Hoffnung, daß Sie juble,
Nun hört, was Sie begann!

Zu Tod' erblassend rief Sie:
Mein Gott, Du lebest noch?
Ich hörte, daß du todt bist,
Ach, Liebster, sei es doch!

Dann weint Sie wieder freudig
Sich beide Augen roth
Und offenbaret schluchzend
Mir Ihre Liebesnoth:

"Ich liebe dich, du wanderst
Nach Lust zu Nord und Süd;
Ich traure still und harre,
Wann du des Wanderns müd'?

Doch da ist all vergebens,
Die Wolga und der Nil,
Nicht ich und meine Ruhe,
Sind deines Trachtens Ziel.

Prairien und Savannen,
Gar californisch Erz
Und dürrer Sand der Wüste
Gilt mehr dir als ein Herz.

Ach, wärst du doch gestorben
Und lebtest still bei Gott,
Dich lieben und nicht haben -
Dein Leben ist - mein Tod!"

XIV.
In meiner frühern Zeit,
Da war ich heut wie morgen
Die lautre Fröhlichkeit
Und glaubte, Gram und Sorgen
Sein' nur als Schwank erdacht.
Bis sich das Aug' schloß, ward gescherzt,
Die Träume waren heiter,
Am Morgen ward ich wachgeherzt,
Den Tag ging's also weiter,
Bis wieder kam die Nacht.

In meinem Unverstand,
In frevlem Uebermuthe
Erhob ich oft die Hand
Bewaffnet mit der Ruthe
Und hieb nach meinem Glück;
Ich grollte auf mein Herz,
Ward gram den rothen Wangen,
Und wollte sein - von Schmerz
Und Leid und Qual umfangen -
Ach, auch ein mühsam Menschenstück!
***

Jetzt ist, was ich gefleht
Streng in Erfüllung gangen:
Die Freuden sind verweht,
Entfärbt und hohl die Wangen,

Gemüth und Herz so schwer!
Verflogen ist die Lust,
Das frohe Lied verklungen,
Es herzet keine Brust
Zur Zeit der Dämmerungen
Mich Liebverarmten mehr!

Collection: 
1855

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