Reinheit des Herzens

"O selig, wer da reines Herzens ist!
Gott wird er schau'n;" - So sprach der heilig Reine,
Beglückt schon hier im seligen Vereine
Mit dem, deß Arm den Weltenkreis umschließt.

O selig, wer da reines Herzens ist!
So rufen wir ihm nach, vom Staub umfangen,
Bemüht das schöne Kleinod zu erlangen,
Weil es so hohen Glückes Bürge ist.

Wer aber darf sich seiner wohl erfreuen?
Nennst Du, deß Wandel laut die Menschen preisen,
Dem keine Schuld, kein Makel nachzuweisen,
Nennst, Glücklicher, Du dieses Kleinod Dein? -

Du denkst's! - Dein Selbstgefühl blickt stolz herab
Auf den Verirrten, Deine Schritte lenken
Sich von ihm ab, den Schimmer nicht zu kränken,
Den strenge Vorsicht Deinem Wandel gab.

Und doch vermagst Du kaum des Tadels Grund,
Viel weniger ein Leben zu durchblicken,
Auf das die Schmäher ihre Pfeile zücken; -
Unwissend trittst Du in der Feinde Bund.

Du gibst, um nicht'gem Tadel zu entgeh'n,
Den Armen Preis den drohendsten Gefahren,
Die eigne Reinheit willst Du Dir bewahren,
Und schon ist's um dies Kleinod längst gescheh'n.

O krankes Herz, das in hoffärt'gem Wahn
Nur sich erheben will; o kleine Seele,
Die schnöd' beleuchtet ihrer Brüder Fehle,
Zu richten wagt, wo Gott nur richten kann!

Nur Demuth kann ein Kleinod uns verleh'n,
Das gültig vor dem Richter ist, dort oben!
Erniedrigt hat sich selbst, wer sich erhoben!
Wo Demuth fehlt, kann keine Reinheit seyn.

Nur Liebe wäscht des Herzens Makel rein!
Wie könnte der sich vor den Reinen wagen,
Der liebend nicht des Bruders Schuld getragen?
Wo Liebe fehlt, kann keine Reinheit seyn!

Die Reinheit, die des Heilands Lippe preis't,
Kann, Gott entflammt, uns nur zur Gottheit führen;
Nie wird die Welt mit diesem Schmuck uns zieren!
Vergänglich ist, was ihr zu Ehren gleis't.

"Selig ist der, der reines Herzens ist!"
O Du, der uns dies Segenswort gegeben,
Senk' Deinen Geist in Deiner Kinder Leben,
Bis Allen sich des Wortes Heil erschließt!

Zerbrich den Schein, den statt der Wahrheit Licht
Ihr Sinn umfaßt; zeig, wie der Stolz vor Allen
Dein Herz betrübt, bei denen, die gefallen,
Durch das Verletzen einer heil'gen Pflicht.

Und wenn sie ihren Irrthum bang erkannt
Dann lehre sie Dein demuthsvolles Lieben,
Lehr' Deine Treue sie in Einfalt üben;
Den Blick auf Dich, nicht auf die Welt gewandt!

Dann wird die Kraft, die Welten warm umschließt,
Auch sie beleben und das Ziel erringen!
Und jubelnd werden sie dem Retter singen:
O selig, wer da reines Herzens ist!

aus: Gedichte von Agnes Franz
Erste Sammlung Zweite Auflage Essen 1836

Collection: 
1836

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